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Unvollendete Anlagen > Wyhl (Baden-Württemberg)

Widerstand gegen Standort Breisach

Ursprünglich war vom badischen Energieversorger "Badenwerk" der Ort Breisach südlich des Kaiserstuhls als Standort für das Atomkraftwerk vorgesehen, im Rahmen einer gewaltigen, von der deutschen Politik geplanten europäischen Industrieachse im Rheintal, die von Basel bis Rotterdam reichen sollte. Dem Aufsichtsrat des Badenwerks gehörte auch der damalige Ministerpräsident Filbinger an, der den Bau des AKW maßgeblich unterstützte. Schon im Sommer 1972 kam es zu massiven Widerstand von Weinbauern, die befürchteten, dass der aus den Kühltürmen aufsteigende Wasserdampf die Sonneneinstrahlung für die Weinreben reduzieren würde. Weil Landtagswahlen anstanden, gab die Politik Breisach als Standort auf.[1]

Proteste gegen Wyhl

WYHL 1975 KKW-NEIN

Am 19. Juli 1973 wurde offiziell angekündigt, dass im baden-württembergischen Wyhl am Kaiserstuhl ein Atomkraftwerk errichtet werden soll. Obwohl mit dem Bau bereits begonnen worden war, scheiterte das geplante AKW am Widerstand der einheimischen Bevölkerung. Die Proteste werden oft als Ursprung der deutschen Anti-Atomkraftbewegung angesehen.[2]

Unter dem Namen "Kernkraftwerk Süd" (KWS) waren zwei Siedewasserreaktoren mit einer Bruttoleistung von je 1.375 MW geplant.[3] Noch bevor der neue Standort Wyhl offiziell angekündigt wurde, gab es bereits im Fasching 1972 Anspielungen darauf, und im Sommer 1973 begannen die ersten Proteste von Gegnern. Zugleich organisierten sich die Befürworter, die wirtschaftliche Vorteile als Argumente für den Bau des AKW herausstellten. 1974 kündigte die Landesregierung die Einleitung des Genehmigungsverfahrens an. Die Bauern und Winzer zogen vor den Landtag und diskutierten mit Abgeordneten. Sie versuchten, den Verkauf des Geländes an das Badenwerk zu verhindern, woraufhin der Landtag mit Enteignung drohte. Alle Maßnahmen blieben aber ohne Erfolg. 1974 wurde das "Internationale Komitee der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen" gegründet[1] Im gleichen Jahr protestierten dieselben deutschen und elsässischen Organisatoren, die gegen Wyhl Widerstand leisteten, auch gegen ein deutsches Bleiwerk in Frankreich.[4]

Die Regierung Filbinger beschloss jedoch ungeachtet der Proteste am 5. November, mit dem Bau zu beginnen, weil ohne das AKW die Energieversorgung gefährdet wäre. Tatsächlich wurden am 17. Februar 1975 die ersten Bäume durch die "Kernkraftwerk Süd GmbH", einer Badenwerk-Tochter, gefällt, woraufhin die AKW-Gegner das Bauareal besetzten. Filbinger versuchte den Widerstand als ortsfremde Extremisten und "kommunistische Saat" zu diffamieren und ließ die Polizei aufmarschieren, die die erste Besetzung auflöste, sich aber später angesichts von 25.000 Demonstranten zurückhielt. Als die Proteste anhielten, wurde der Baubeginn bis zu einer Gerichtsentscheidung über Klagen gegen das AKW vertagt.[5]

Der Bauplatz wurde neun Monate besetzt, und die Demonstranten wurden aus dem ganzen Bundesgebiet unterstützt und waren schließlich erfolgreich: 1975 verfügte das Freiburger Verwaltungsgericht einen Baustopp, und Anfang 1976 verpflichtete sich die Landesregierung, "sämtliche Verfahren gegen die Atom-Gegner einzustellen, den Weiterbau vorläufig zu stoppen und weitere Gutachten einzuholen." Im März 1977 wurde die Errichtungsgenehmigung durch das Freiburger Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärte.[1] Dabei hatten sich die Befürworter alle Mühe gegeben, Gutachten von der bundesdeutschen Atomwissenschaft einzuholen, die alles andere als unabhängig waren und alle die Atomkraft befürworteten.[6] Das Gericht hatte die mangelnde Sicherheit kritisiert: "Ein Berstschutz um den Reaktordruckbehälter sei unabdingbar, ein Betonmantel also, der beim Bruch der Reaktorhülle verhindere, daß Strahlen nach draußen gelangen und eine "nationale Katastrophe" auslösen. (...) "Vergessen Sie nicht, die Richter sind technische Laien", wertete vor Ort der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Karl Filbinger das Urteil ab, als ob er mehr davon verstünde." Der Eingriff von Gerichten in die Atomdebatte, aber auch der Einfluss von Bürgerinitiativen als "vierte Macht" schlug hohe Wellen in ganz Deutschland.[7]

1983 flammte der Streit erneut auf, als das Verwaltungsgericht den Bau freigab und Ministerpräsident Lothar Späth im Mai 1983 für 25. März 1984 einen Baubeginn unmittelbar nach den Landtagswahlen ankündigte. Demonstranten und Polizei formierten sich, und es wurde mit neuen Konflikten gerechnet.[8] Am 30. August 1983 jedoch gab Späth nach und sagte am 30. August 1983: "Der Zeitdruck für Wyhl ist weg."[9]

Der Rechtsstreit aber ging weiter. Ende 1985 wies das Bundesverwaltungsgericht wiederum alle Klagen gegen den Bau zurück.[10] 1987 bestätigte Lothar Späth seinen Verzicht auf das AKW Wyhl bis 2000.[3] Schließlich gab das Energieunternehmen aufgrund hoher Sicherheitsauflagen das Projekt auf.[11]

Protest mit Langzeitwirkung

Nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 wurde häufig an Wyhl erinnert und der Slogan geprägt: "Tscherno-Wyhl ist überall."[1]

Der "Spiegel" wies 2011 darauf hin, dass der Widerstand gegen Wyhl auch die Gründung der Grünen und nach Fukushima die Wahl Winfried Kretschmanns zum grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs gefördert habe.[12]

2013 wurde eine SWR-Dokumentation mit dem Titel "Wyhl? – Nai hämmer gsait! Der Widerstand gegen das Atomkraftwerk am Kaiserstuhl" gedreht, die die Geschichte des Protestes und der beteiligten Menschen beschreibt. Die am 10. Oktober 2013 gesendete Dokumentation steht bis voraussichtlich 2018 in der SWR Mediathek SWR Mediathek.

→ swr.de: 40 Jahre AKW-Widerstand Wyhl? "Nai hämmer gsait!" mit Zusatzinformationen, Videos, Audios, Film
→ tagesschau.de: Der Widerstand begann im Wyhler Wald vom 19. Juli 2013 (Video)

Fernsehbeitrag

40_Jahre_erfolgreicher_Widerstand

40 Jahre erfolgreicher Widerstand

SWR, Landesschau vom 18. Juli 2013

"Kurz nach der Ankündigung, dass in Wyhl am Kaiserstuhl ein Kernkraftwerk gebaut werden solle, begannen 27 Bürger aus Wyhl, gegen das KKW zu protestieren. Es ist der erste erfolgreiche Widerstand gegen eine Landesregierung und der Beginn der grünen Bewegung."[13]


(Letzte Änderung: 16.10.2013)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Jens Ivo Engels: freidok.uni-freiburg.de Geschichte und Heimat. Der Widerstand gegen das Kernkraftwerk Wyhl von 2003
  2. tagesschau.de: Der Widerstand begann im Wyhler Wald vom 19. Juli 2013
  3. 3,0 3,1 Wikipedia: Kernkraftwerk Wyhl
  4. DER SPIEGEL 43/1974: Wacht am Rhein vom 21. Oktober 1974
  5. DER SPIEGEL 14/1975: Mer setze uns durch, weil mer recht hen - Bürgerprotest gegen geplantes Kernkraftwerk Wyhl am Oberrhein und Zündschnur brennt vom vom 31. März 1975
  6. DER SPIEGEL 8/1977: Geballte Ladung vom 14. Februar 1977
  7. DER SPIEGEL 13/1977: Bürgerproteste - die vierte Gewalt - Der Sieg der Umweltschützer in Wyhl irritiert Parteipolitiker und Energiewirtschaftler vom 21. März 1977
  8. DER SPIEGEL 18/1983: Grüne Hölle vom 2. Mai 1983
  9. BUND: AKW - KKW - Wyhl Chronik: Der Widerstand im Wyhler Wald, in Kaiseraugst, Marckolsheim und Gerstheim vom 10. Januar 2013
  10. DER SPIEGEL 1/1986: Lichter aus vom 30. Dezember 1985
  11. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 302-304.
  12. DER SPIEGEL 14/2011: Das war´s vom 4. April 2011
  13. swr.de 40 Jahre erfolgreicher Widerstand abgerufen am 1. Oktober 2013
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