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Atomenergie in Europa > Ukraine > Tschernobyl (Ukraine)

4 leichtwassergekühlte, graphitmoderierte Reaktoren • Leistung: 800 MW/1.000 MW/1.000 MW/1.000 MW •
Typ: RBMK/RBMK/RBMK/RBMK • Hersteller: Minatomenergo • Baubeginn: 1970/1973/1976/1979 •
Inbetriebnahme: 1977/1978/1981/1983 • GAU: 1986 (Reaktor 4) •
Abschaltung: 1991 (Tschernobyl-2), 1996 (Tschernobyl-1) und 2000 (Tschernobyl-3) [1][2]


Zerstörte/Stillgelegte Anlage bei Prypjat

Chernobyl NPP 01-2009

AKW Tschernobyl 2009, rechts Block 4 mit Sarkophag (Ukraine)

Der Standort Tschernobyl, Schauplatz des GAUs von 1986, befindet sich in Prypjat im Norden der Ukraine unweit der weißrussischen Grenze.[3]

Dort wurden zur Zeit der ehemaligen Sowjetunion ab 1977/1978/1981/1983 vier leichtwassergekühlte und graphitmoderierte Reaktoren mit einer Leistung von 800 MW (Reaktor 1) und je 1.000 MW (Reaktoren 2-4) betrieben. Der Reaktor 4 wurde bei einem katastrophalen Atomunfall 1986 völlig zerstört, die Reaktoren 1 bis 3 wurden 1996, 1991 und 2000 endgültig abgeschaltet und stillgelegt. Eigentümer der Anlage ist die staatliche ukrainische National Nuclear Energy Generating Company "Energoatom" (NNEGC), Betreiber die Mintopenergo (Ministerium für Brennstoff und Energie). Hersteller war Minatomenergo.[1][2][4]

1981 waren zwei zusätzliche Einheiten 5 und 6 bestellt worden und im Januar 1981 und Januar 1983 in Bau gegangen. Sie sollten 1985 bzw. 1986 in Betrieb genommen werden, wurden jedoch im Januar 1988 aufgegeben.[2][5]

Störfall 1982 und GAU 1986

Am 1. September 1982 hatte sich bereits ein erster schwerer Störfall ereignet. Das zentrale Brennelement in Reaktor 1 wurde wegen eines Bedienfehlers überhitzt und völlig zerstört. Radioaktive Substanzen wurden in die Umwelt freigesetzt und zogen über die Anlage und das Industriegebiet bis Prypjat: Jod, Krypton, Xenon, Tellur und Cäsium. Bei der Beseitigung der Schäden wurden Arbeiter erhöhter Strahlung ausgesetzt, mehrere starben.[6][7]

Am 26. April 1986 ereignete sich in Reaktor 4 von Tschernobyl der katastrophaler Unfall der INES-Stufe 7, bei dem nach einer Kernschmelze und Wasserstoffexplosionen große Mengen radioaktiver Stoffe in die Umgebung und die Atmosphäre gelangten. Detaillierte Informationen zu Hergang und Folgen des GAU sowie umfangreiche Materialien finden sich unter → AtomkraftwerkePlag: Die Tschernobyl-Katastrophe.

1991 und 1995: Weitere Störfalle mit Kontaminationen

1991 wurde Einheit 2 wegen eines schweren Brandes im Maschinenhaus abgeschaltet, wobei das Dach einstürzte und ein Generator stark beschädigt wurden. Außerdem traten aus einem Leck im Abklingbecken desselben Reaktors radioaktive Substanzen aus. Der Reaktor ging danach nie wieder in Betrieb [6][7]

Von Januar 1993 bis Januar 1995 gab es mehrere Ereignisse, die die INES-Stufe 1 nicht überschritten.[8]

Als im November 1995, so berichtete das Nuclear Energy Institute (NEI), ein mutmaßlich defektes Brennelement in Tschernobyl-1 entfernt wurde, wurde ein Arbeiter einer erhöhten Strahlendosis von 5.5 rem ausgesetzt (Grenzwert: 5 rem). Die Ursache der Strahlung, ein lockerer Boden des Brennelements, wurde 10 Tage lang nicht entdeckt. Mehrere Räume wurden kontaminiert. Die Behörden versuchten vergeblich, den Vorfall zu verschleiern, der wegen der Radioaktivität schließlich als "ernster Störfall" der INES-Stufe 3 klassifiziert wurde. Der Leiter der Anlage und mehrere Angestellte erhielten eine Rüge; der Leiter der Sektion für Strahlungssicherheit wurde entlassen.[8] Der Störfall wurde auch im "Tagesspiegel" und in der "Süddeutschen Zeitung" aufgeführt; danach seien große Mengen an Radioaktivität freigesetzt worden.[9][10]

Um dieselbe Zeit kam es laut NEI zu "gefährlichen Entwicklungen" in Tschernobyl-3. Der Chefingenieur des Reaktors dementierte, es habe in der Umgebung der Anlage erhöhte Radioaktivität gegeben. Als jedoch am 24. April 1996 an Einheit 3 und am Sarkophag des zerstörten Reaktors 4 Luftreinigungsfilter ausgetauscht wurden, trat radioaktiver Staub aus. Dennoch wurde der Störfall nur mit INES-Stufe 1 bewertet.[8]

1998 wurden Arbeiter in Tschernobyl erhöhter ionisierender Strahlung ausgesetzt, ein Störfall der INES-Stufe 2.[11]

Abschaltung, Sarkophag und Trockenlager

Die Abschaltung des letzten Reaktors im Dezember 2000, also fast 15 Jahre nach der Katastrophe, durch den ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma erfolgte nur aufgrund internationalen Drucks.[12]

Am 17. Dezember 2007 wurden Aufträge für die Errichtung einer neuer Sicherheitshülle für den zerstörten Reaktor 4 sowie eines Trockenlagers für die 20.000 bestrahlten Brennelemente der Reaktoren 1 bis 3 erteilt. Die Verwaltung der Fonds dafür oblag der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).[13] Am 28. September 2013 wurde der Transfer der Brennelemente in das Trockenlager bis auf eine unbekannte Anzahl beschädigter Exemplare in den Reaktoren 1 und 2 abgeschlossen.[14]

Nach einer Meldung vom April 2015 plante die Ukraine, in der Sperrzone um das AKW Tschernobyl ein weiteres Zwischenlager für radioaktive Abfälle zu errichten, das im November 2017 fertiggestellt werden sollte. Dort soll auch Atommüll untergebracht werden, den die Ukraine bislang nach Russland transportiert hat und wieder zurücknehmen muss.[15]

Am 10. April 2015 erteilte die ukrainische Atomaufsichtsbehörde die offizielle Erlaubnis, mit der Stilllegung und dem Rückbau der unbeschädigten Einheiten 1, 2 und 3 zu beginnen.  Aus Tschernobyl-1 werden bereits nicht kontaminierte Anlagen entfernt, eine Arbeit, die 2020 bis 2022 abgeschlossen werden könnte.[16]

Nachdem in den Jahren 2010 bis 2013 der unbeschädigte Brennstoff aus Tschernobyl-1, -2 und -3 entfernt worden war, wurden am 6. Juni 2016 die letzten beschädigten Brennelemente aus allen drei Einheiten in ein Zwischenlager überführt.[17]

Am 29. November 2016 wurde die neue Schutzhülle über den havarierten Reaktor 4 des Atomkraftwerks an ihre endgültige Position versetzt. Die 2,1 Mrd. Euro teure Hülle ist "30.000 Tonnen schwer, 108 Meter hoch und 162 Meter lang". Sie umhüllt den alten Sarkophag und soll 100 Jahre lang den Austritt radioaktiver Substanzen verhindern. Ein Rückbau des alten Sarkophags und die Entsorgung des Atommülls ist geplant.[18]

(Letzte Änderung: 29.01.2020)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 IAEO: PRIS - Country Statistics/Ukraine abgerufen am 21. September 2015
  2. 2,0 2,1 2,2 IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
  3. WNA: Chernobyl 1, Ukraine abgerufen am 3. April 2016
  4. energoatom.kiev.ua: NNEGC "Energoatom" in the energy market of Ukraine abgerufen am 19. Juni 2015 (via WayBack)
  5. IAEO PRIS: CHERNOBYL-5 und CHERNOBYL-6 abgerufen am 3. April 2016
  6. 6,0 6,1 Wiener Umweltanwaltschaft: Kernkraftwerk Tschernobyl - zerstört/stillgelegt abgerufen am 22. März 2015 (via WayBack)
  7. 7,0 7,1 Die Welt: Reaktorblock eins in Tschernobyl abgeschaltet vom 2. Dezember 1996
  8. 8,0 8,1 8,2 Nuclear Energy Institute: Soviet-Designed Nuclear Power Plants in Russia, Ukraine, Lithuania, Armenia, the Czech Republic, the Slovak Republic, Hungary and Bulgaria (Fifth Edition) von 1997 (via WayBack)
  9. Der Tagesspiegel: Verstrahlt, verseucht, getötet - Die schwersten Atomunfälle vom 12. März 2011
  10. Süddeutsche.de: Die schwersten Atom-Unfälle der vergangenen Jahrzehnte vom 12. März 2011
  11. Spiegel Online: Pannen und Unfälle: So sicher sind die Atomkraftwerke der Ukraine vom 4. Dezember 2014
  12. Handelsblatt: Letzter Tschernobyl-Reaktor abgeschaltet vom 15. Dezember 2000
  13. nuklearforum.ch: Aufträge für Tschernobyl-Standortsanierung erteilt vom 19. September 2007
  14. nuklearforum.ch: Tschernobyl-Reaktoren entladen vom 28. Oktober 2013
  15. heise.de: Ukraine will Zwischenlager neben Tschernobyl-Reaktor bauen vom 26. April 2015
  16. sputniknews.com: Chernobyl Nuclear Power Plant to Officially Shutdown vom 10. April 2015
  17. world nuclear news: Chernobyl units 1-3 now clear of damaged fuel vom 7. Juni 2016
  18. tagesschau.de: Schutzhülle der Superlative für Tschernobyl vom 29. November 2016
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