AtomkraftwerkePlag Wiki
Registrieren
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Markierung: rte-source
Zeile 52: Zeile 52:
   
 
*1983 – [[Krümmel (Schleswig-Holstein)]], [[Hamm-Uentrop (Nordrhein-Westfalen)]]
 
*1983 – [[Krümmel (Schleswig-Holstein)]], [[Hamm-Uentrop (Nordrhein-Westfalen)]]
*1984 - [[Gundremmingen B und C (Bayern)]], [[Grohnde (Niedersachsen)]], [[Philippsburg II (Baden-Württemberg)]]
+
*1984 - [[Gundremmingen B (Bayern)|Gundremmingen B]] und [[Gundremmingen C (Bayern)|C]] (Bayern), [[Grohnde (Niedersachsen)]], [[Philippsburg II (Baden-Württemberg)]]
 
*1986 – [[Brokdorf (Schleswig-Holstein)]], [[Mülheim-Kärlich (Rheinland-Pfalz)]]
 
*1986 – [[Brokdorf (Schleswig-Holstein)]], [[Mülheim-Kärlich (Rheinland-Pfalz)]]
 
*1988 – [[Isar 2 (Bayern)]], [[Emsland (Niedersachsen)]], [[Neckarwestheim II (Baden-Württemberg)]]<br /><br />
 
*1988 – [[Isar 2 (Bayern)]], [[Emsland (Niedersachsen)]], [[Neckarwestheim II (Baden-Württemberg)]]<br /><br />

Version vom 28. Dezember 2017, 16:37 Uhr

Atompolitik > Stagnation und Niedergang in den 1980er und 1990er Jahren

Helmut Kohl: Atomkraft trotz Tschernobyl

Bundesarchiv B 145 Bild-F074398-0021, Bonn, Pressekonferenz Bundestagswahlkampf, Kohl

Helmut Kohl

Auch während der langen Regierungszeit von Helmut Kohl als Bundeskanzler (1982-1999) blieben die bisherigen Grundsätze der deutschen Atompolitik erhalten.

Kohl hatte bereits 1979 den wegen der SPD-internen Widerstände stagnierenden Ausbau der Atomkraftwerke unter Schmidt mit pathetischen Worten kritisiert: deswegen wäre "eine lebensbedrohende Situation" entstanden.[1]

Er trat mit dem Anspruch an, dem Neubau von Atomkraftwerken neuen Schwung zu verleihen, konnte aber nicht verhindern, dass die Atomwirtschaft in eine Stagnation und schließlich in einen Niedergang eintrat, die den darauffolgenden ersten Atomausstieg unter Schröder als logische Konsequenz erscheinen lässt.

Im März 1983, bald nach seiner Regierungsübernahme, setzte Kohl die jahrelang verschobene Entscheidung zur Inbetriebnahme des Schnellen Brüters in Kalkar im Bundestag durch.[2]

Im Sommer 1986, nach der Tschernobyl-Katastrophe, sprachen sich in einer Emnid-Umfrage 83 % der Bundesbürger gegen den Bau neuer Atomkraftwerke aus.[3] Auch wurden in allen Parteien Forderungen nach einem Atomausstieg laut, sogar von christdemokratischen Politikern, wie z. B. Kurt Biedenkopf oder Erwin Teufel.[4]

Daraus resultierte jedoch kein grundsätzlicher Richtungswechsel in der Atompolitik. Helmut Kohl gründete am 3. Juni 1986 kurzerhand ein "Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit", mit dem er den Atomkraftgegnern den Wind aus den Segeln nehmen wollte. Der neue Minister Walter Wallmann leugnete, dass von Tschernobyl eine Gefahr für Deutschland ausgehen könnte. Seinen Nachfolger, den Umweltpolitiker Klaus Töpfer, schob Kohl ab, als dieser mehr Kompetenzen forderte. Stattdessen setzte er Angela Merkel als Umweltministerin ein.[5]

Willfährige Helfer Kohls bei seinem Pro-Atomkurs waren Hamburgs Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und sein Innensenator Rolf Lange (ebenfalls SPD), die 600 Kernkraftgegner am 8. Juni 1986 bei einer Demonstration gegen das AKW Brokdorf einkesseln, schikanieren und aufs Übelste beschimpfen ließen (später "Hamburger Kessel" genannt).[6] Später wurde der Polizeieinsatz gerichtlich für rechtswidrig erklärt. Näheres dazu unter → AKW Brokdorf

Auch Umweltministerin Angela Merkel blieb von der Tschernobyl-Katastrophe offenbar unbeeindruckt: Bei ihrem späteren Besuch am Sarkophag von Tschernobyl lobte sie 1996 stattdessen die Robustheit russischer Technik und die Fortschritte in der Sicherheitstechnik. Und sie griff die Anti-Atomkraftbewegung an, die durch ihre Proteste gegen Atomkraftwerke "viele Kapazitäten bindet, um die Rechtslage zu garantieren. Diese Kapazitäten fehlen bei der Vorsorge."[7]

Tricksen und Vertuschen

Bundeskanzler Kohl setzte sich mit allen Mitteln für den Ausbau der Atomkraft ein. Trotz massiver Proteste ging das Atomkraftwerk Brokdorf nur ein halbes Jahr nach Tschernobyl ans Netz, und bis 1989 folgten noch fünf weitere (als letztes Neckarwestheim II).

1982 kam es zu massiven Protesten gegen den Bau des Zwischenlagers Gorleben, das 1983 fertiggestellt und wegen der Proteste und Rechtsstreitigkeiten erst 1995 eröffnet wurde. Im April 1995 rollte dann der erste Castor-Transport nach Gorleben, ebenfalls von Protesten begleitet.[8]

Atomkraft_Beweise_für_Manipulation_in_Sachen_Gorleben_-_NDR_Nachrichten

Atomkraft Beweise für Manipulation in Sachen Gorleben - NDR Nachrichten

NDR aktuell: Beweise für Manipulation in Sachen Gorleben? Die Regierung unter Kanzler Kohl soll Forscher "massiv beeinflusst" haben (hochgeladen in YouTube am 09.09.2009)

Die "Süddeutsche Zeitung" wies in einem Artikel aus dem Jahre 2009 darauf hin, dass Kohls Kanzleramt 1983 kritische Gutachten zu Gorleben entschärfen ließ. In einem Gutachten war bezweifelt worden, dass Sedimente über dem Salzstock Kontaminationen der Biosphäre verhindern könnten. "Seltsamerweise tauchen manche solcher kritischen Passagen nicht mehr in dem Zwischenbericht vom 6. Mai 1983 auf. Mehr noch: Als Ergebnis wird nun festgehalten, die bisherigen Erkenntnisse hätten "voll bestätigt", dass der Salzstock als Endlager geeignet sei." Vertreter des Kanzleramtes und des Forschungsministeriums sollen darauf gedrungen haben, kritische Passagen abzuändern.[9]

Ähnlich ging die Kohl-Regierung beim Wassereinbruch ins Atomlager Asse vor, den sie nach Informationen des "Spiegel" vertuschte. "Als einer der Experten seine Kenntnisse 1996 in einer Habilitationsschrift veröffentlichen wollte, verlangten Mitarbeiter des staatlichen Betreibers und des Bundesforschungsministeriums aber, alle Hinweise auf die Asse zu "überarbeiten". (...)"[10] Während der Regierungszeiten von Helmut Schmidt und Helmut Kohl, von 1975 bis 1985, wurden die meisten Atomkraftwerke, nämlich 14 Anlagen, gebaut. Nach 1982 jedoch wurden keine neuen AKW mehr bestellt, so dass die Atomenergie in eine Phase der Stagnation eintrat. Aufgrund strategischer Fehlentscheidungen, technologischer Rückschläge, steigender Baukosten, Überkapazitäten, Differenzen zwischen Bund und Ländern sowie nicht zuletzt sinkender Akzeptanz in der Bevölkerung, besonders nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986, begann bald danach der Niedergang der Atomwirtschaft.[11]

Scheitern von Projekten und Stilllegungen

Nicht nur die Tschernobyl-Katastrophe, sondern auch die Skandale um das Hanauer "Atomdorf" mit den Firmen Alkem, Nukem und Transnuklear hatten das Vertrauen in die Atomindustrie schwer erschüttert. In Kohls Regierungszeit fiel danach das Scheitern von Großprojekten, die seit Jahrzehnten geplant waren.

Im Sommer 1989 stiegen die Energiekonzerne fast zeitgleich und offenbar nach Absprache aus drei zentralen Vorhaben aus, um Kosten zu sparen und um die aktiven 23 Atomkraftwerke "aus der politischen Schusslinie" zu bringen, wie es der "Spiegel" formulierte. Veba-Chef Rudolf von Bennigsen-Foerder verkündete plötzlich das Aus für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf. Friedhelm Gieske, Chef des Stromkonzerns RWE, war der Meinung, man brauche den Schnellen Brüter von Kalkar nicht mehr. Und Klaus Knizia, Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen und Geschäftsführer des THTR-Betreibers, forderte fast zeitgleich, den Thorium-Hochtemperaturreaktor Hamm-Uentrop stillzulegen. Der "Spiegel" deutete: "Die Atomindustrie gibt Terrain auf, um ihr Überleben zu sichern. Die neue Marschrichtung heißt: Hinderlicher Ballast wird abgeworfen, heikle Projekte werden ins Ausland verlagert, um die Deutschen wieder mit der Kernenergie zu versöhnen."[12]

Damit ging auch der alte Traum von der Brütertechnologie und Wiederaufarbeitung endgültig zu Ende: "Die über Jahrzehnte gezimmerte Ideologie eines geschlossenen Brennstoffkreislaufs inklusive Plutoniumwirtschaft liegt in Trümmern."[13]

Außerdem folgte während Kohls Regierungszeit die Stilllegung verschiedener Atomkraftwerke, bevor diese ihre Lebensdauer erreicht hatten. Kahl (Bayern), Mülheim-Kärlich (Rheinland-Pfalz), Würgassen (Nordrhein-Westfalen) gingen vom Netz, und wegen Sicherheitsbedenken und aus ökonomischen Gründen nach der Wende die DDR-Reaktoren Rheinsberg (Brandenburg) und Greifswald/Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern). Im Bau befindliche Projekte wie Stendal (Sachsen-Anhalt) oder geplante AKW wie Biblis C und D, Borken (Hessen) und Neupotz (Rheinland-Pfalz) wurden nicht mehr realisiert.[14]

Im Februar 1998 gab es unter Helmut Kohl noch einen großen Skandal, da Transportbehälter mit abgebrannten Brennelementen, die nach Frankreich unterwegs waren, an der Außenseite stark radioaktiv kontaminiert waren. Die Grenzwerte wurden mit bis zu 13.400 Becquerel erheblich überschritten. Dies war den Betreibern und Behörden seit langem bekannt, wurde aber verschwiegen. Bundesumweltministerin Merkel ließ die Transporte aufgrund des großen Aufsehens in den Medien stoppen.[15]Castoren - Erhöhte Strahlung

1998 setzte sich Angela Merkel noch vehement für den von Siemens und dem französischen Unternehmen Framatome entwickelten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) ein, der ältere Reaktoren ersetzen sollte. Die Energiewirtschaft, insbesondere das Bayernwerk, hatte jedoch bereits das Interesse am Bau neuer Reaktoren verloren, weil sie den EPR nicht für wettbewerbsfähig ansah. Ursache war, dass die Gebietsmonopole 1989 fielen, die sich PreussenElektra, das Bayernwerk, RWE und andere Verbundunternehmen sechzig Jahre lang gesetzlich sichern hatten lassen. Ab Ende April durfte jeder Stromkunde nun seinen Energieversorger frei wählen, und Angebot und Nachfrage auf dem Energiemarkt erhielten größere Bedeutung. AKW waren den Konzernen plötzlich zu teuer.[16][17]

Helmut Kohl blieb auch nach Fukushima Befürworter der Atomenergie und kritisierte Merkels Atomausstieg mit ähnlichen Floskeln wie Helmut Schmidt: "Es ist ein folgenschwerer Irrtum anzunehmen, dass andere Länder uns folgen würden", wenn Deutschland ausstiege, argumentiert der ehemalige CDU-Chef. (...) Das Unglück im Atomkraftwerk Fukushima I mache alle "fassungslos", dürfe aber "nicht den Blick für die Wirklichkeit verstellen", schreibt Kohl. (...) "Ein überhasteter Ausstieg aus der Kernenergie wäre "eine gefährliche Sackgasse""[18]

Klaus Töpfer hingegen leitete nach der Fukushima-Katastrophe als Vorsitzender der "Ethikkommission für sichere Energieversorgung" 2011 die Energiewende mit ein und bezeichnete die Laufzeitverlängerung als Fehler.[19]

Unter Kohl in Betrieb gegangene Reaktoren (Jahr der "ersten Kritikalität"):[20]

Schröder: Atomausstieg I (2000)

(Letzte Änderung: 28.12.2017)

Einzelnachweise

  1. DER SPIEGEL 8/1979: Falsches Spiel vom 19. Februar 1979
  2. www.bundestag.de: Jenseits der Tagespolitik - die Enquete-Kommissionen: Teil 2 abgerufen am 16. Oktober 2012 (via WayBack)
  3. DER SPIEGEL 23/1986: Liebe, lache, kämpfe vom 2. Juni 1986
  4. DER SPIEGEL 23/1986 Kernenergie: Ausstieg so rasch wie möglich vom 2. Juni 1986
  5. dradio.de: Ein Umweltministerium als Beruhigungsmittel vom 3. Juni 2011
  6. DER SPIEGEL 25/1986: Lieber gleich durchs Minenfeld jagen vom 16. Juni 1986
  7. Sascha Adamek: Die Atomlüge. Heyne, München 2011, S. 34.
  8. Wikipedia: Atommülllager Gorleben
  9. Süddeutsche.de: Kanzleramt des Helmut Kohl half Atom-Freunden vom 26. August 2009 [Datum durch Süddeutsche.de nachträglich auf 17. Mai 2010 geändert]
  10. Spiegel Online: Atomlager Asse - Kohl-Regierung vertuschte Wassereinbruch vom 27. März 2010
  11. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 321f und 331ff.
  12. DER SPIEGEL 34/1989: Ein gähnendes Loch im Atomgesetz vom 21. August 1989
  13. Zeit Online: Atomenergie Aufbruch ins Wunderland vom 1. Oktober 2010
  14. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 352.
  15. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 350f.
  16. Zeit Online: Atomkraft, nein danke von 1998
  17. Berliner Zeitung: Stromwirtschaft verliert Interesse am Bau neuer Atomreaktoren vom 6. Juli 1998
  18. Spiegel Online: Altkanzler Kohl kritisiert Merkels Atomkehrtwende vom 25. März 2011
  19. dradio.de: Töpfer hält Misstrauen für "mehr als verständlich" vom 26. März 2011
  20. IAEO: PRIS - Country Statistics - Germany