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Reaktoren außer Betrieb > Rheinsberg (Brandenburg)

Baubeginn: 1. Januar 1960 • Inbetriebnahme: 1. März 1966 • Leistung: 70 MW •
Abschaltung: 1. Juni 1990[1] • Beginn Rückbau: 1995 • Ende Rückbau: 2014 (Abriss Hauptgebäude 2069)


Erstes kommerziell genutztes AKW in Deutschland

Rheinsberg nuclear plant

AKW Rheinsberg 2010

Das AKW Rheinsberg (KKR), ein Druckwasserreaktor sowjetischer Bauart vom Typ WWER mit einer Leistung von 70 MW, war das erste kommerziell genutzte Atomkraftwerk der ehemaligen DDR. Hersteller war der VEB Kernkraftwerksbau Berlin. Der Reaktor wurde am 6. Mai 1966 in Betrieb genommen und ging am 1. Juni 1990 außer Betrieb. Am 28. April 1995 wurde die Stilllegung eingeleitet. Betreiber ist die Energiewerke Nord GmbH (EWN).[1][2]
Seit 3. Oktober 1990 sind laut Bundesamt für Strahlenschutz 36 meldepflichtige Ereignisse registriert worden (Status: 25. September 2013).[3]

In der DDR-Führung hatte es bereits 1955 erste Überlegungen zum Bau des AKW gegeben, das zunächst unter der Bezeichnung "Kontrakt 90" geplant wurde. Nach der Prüfung von neun möglichen Standorten entschied man sich für ein Naturschutzgebiet zwischen dem Nehmitz- und Stechlinsee.[4] 1955 ordnete das SED-Politbüro den Bau der Anlage an. Das Atomkraftwerk sollte ursprünglich schon 1961 ans Netz gehen, aufgrund der geringen Erfahrung im Umgang mit Reaktoren verzögerte sich die Inbetriebnahme aber um Jahre, und die Baukosten vervierfachten sich gegenüber der ursprünglichen Schätzung. Ursprünglich wesentlich leistungsfähiger geplant, wurde der Reaktor schließlich mit nur 70 Megawatt betrieben.[5]

Forschung und Energieerzeugung

Der Reaktor, der seinen Kernbrennstoff aus der UdSSR bezog, wurde zur Energieerzeugung, aber auch für Forschung und Ausbildung verwendet. Zu Betriebsbeginn wurde die Sicherheit des Reaktors hochgelobt, es kam jedoch während des Betriebs immer wieder zu unerwarteten Betriebsstörungen.[6] Im Februar 1985 trat eine unbekannte Menge radioaktiven Kühlwassers aus dem Reaktor aus, als im Rahmen einer Leistungsreduzierung ein Brennstabexperiment durchgeführt wurde.[7]

Da 1962 auch eine Energieerzeugung ohne Atomkraft in absehbarer Zeit als möglich angesehen wurde, wurde eine ursprünglich vorgesehene zweite Ausbaustufe des AKW Rheinsberg gestoppt. Nach der Tschernobyl-Katastrophe wurde das AKW Rheinsberg im März 1986 zur Verbesserung der Sicherheit vorübergehend außer Betrieb genommen und grundlegend umgebaut. Rheinsberg sah sich nach 1986 dem Widerstand von Umweltgruppen gegenüber, die eine bessere Informationspolitik und einen Stopp des weiteren Ausbaus der Atomkraft forderten. 1989 wurde die Stilllegung für das Jahr 1992 beschlossen.[8]

Gesundheitliche Schäden

Gesundheitliche Schäden und persönliche Tragik bei der ehemaligen Belegschaft des AKW Rheinsberg zeigten sich erst viel später: Ein ehemaliger Mitarbeiter starb mit 48 Jahren an Leukämie; seine Witwe klagte gegen die Berufsgenossenschaft für ihre Hinterbliebenenrente und bekam 1996 vom Sozialgericht Recht. Leukämie wurde hiermit als Berufskrankheit anerkannt. ""Die Einheimischen hatten alle Angst vor dem Kernkraftwerk. Sie sind froh, daß die Gefährdung jetzt öffentlich wird. Nur die Beschäftigten sagen, daß die Klage Quatsch ist", sagt Margit Graupner, die selbst auch 16 Jahre im Kernkraftwerk Rheinsberg gearbeitet hat. Dort hatte sie auch ihren Mann kennengelernt. "Wir haben uns erst jeden Morgen die Hand gegeben bis wir uns eines Tages einig waren: Die Hand läßt du nicht mehr los." Am 19. Dezember 1996 mußte Margit Graupner die Hand ihres Mannes doch loslassen."[9]

Jahrzehnte langer Rückbau

Das KKR wurde am 1. Juni 1990 aus Sicherheitsbedenken und auf Druck von Umweltschützern abgeschaltet und befindet sich seit 18. April 1995 im Rückbau.[1] Stilllegung und Rückbau der Anlage führt die Energiewerke Nord GmbH (EWN) durch, Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Kombinats Kernkraftwerke "Bruno Leuschner".[10]

Das AKW Rheinsberg ist ein Beispiel dafür, über welche langen Zeiträume hinweg der Rückbau dauern kann: in diesem Fall 74 Jahre. Nach einer Information des Deutschen Bundestages vom November 2011 soll der Rückbau der meisten Anlagenteile bis 2014 im Wesentlichen beendet werden. Bis 2018 soll die Gebäudedekontamination, ab 2019 eine fünfzigjährige Verwahrzeit folgen; erst 2069 kann das Hauptgebäude abgerissen werden. Die Gesamtkosten für Rückbau und Endlagerung, die 1995 auf 420 Mio. Euro geschätzt wurden, dürften schließlich bei ungefähr 600 Mio. Euro liegen und werden vom Steuerzahler getragen.[11]

In einem Artikel von 3sat aus dem Jahre 2012 wird der Rückbau wie folgt beschrieben: "Dabei fallen 330.000 Tonnen Reststoffe an, davon sind 40.000 Tonnen radioaktiv belastet. (…) Seit 2001 mit dem Rückbau der Kernbrennstäbe begonnen wurde, war das hohle Reaktordruckgefäß als Abschirmung gegen die Strahlung wassergefüllt. Alle radioaktiven Bauteile kamen möglichst kleinteilig zerlegt ins Zwischenlager nach Greifswald. Nach einer Abklingzeit von 40 Jahren soll dorthin auch das elf Meter lange und 120 Tonnen schwere Druckgefäß transportiert werden. In der durch Wasser abgeschirmten Zerlegestation demontieren Roboter den radioaktiven Brennelementekorb und den Reaktorschacht."[12]

Demontage_Kernkraftwerk_Rheinsberg_(KKR)_1990-0

Demontage Kernkraftwerk Rheinsberg (KKR) 1990-0

ZDF: Demontage Kernkraftwerk Rheinsberg (KKR) 1990, hochgeladen in YouTube am 18. Mai 2011

Der Grund für die Jahrzehnte lange Verwahrzeit ist Kobalt-60, das in die Wände der Anlage eingedrungen ist.[13]

Die DDR-Führung hatte auf dem Gelände auch ein Lager für Atommüll errichten lassen, welches mittlerweile geräumt wurde.[14] Die Entsorgung bereitete große Probleme, da in acht Metern ohne Dokumentation Atommüll eingelagert wurde, was zu einer Verseuchung des Bodens und des Grundwassers führte.[15]

Im ersten Quartal 2013 widmete der Verein "Stadtgeschichte Rheinsberg" dem AKW Rheinsberg eine Ausstellung mit einer Begleitbroschüre. In diesem Zusammenhang wurde auch das Betriebsarchiv der Energiewerke Nord gesichtet.[16]

Nach einer Meldung vom Februar 2013 sollen in den AKW Greifswald und Rheinsberg "78 Prozent der kontaminierten und 95 Prozent der kerntechnischen Nebenanlagen zurückgebaut" worden sein.[17]

→ Deutscher Bundestag: Atomkraftwerk Rheinsberg - Rückbau und atomare Abfälle (Drucksache 17/7607) vom 3. November 2011
Atompolitik in der ehemaligen DDR

(Letzte Änderung: 01.07.2014)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 IAEO: PRIS - Country Statistics/Germany abgerufen am 27. Mai 2014
  2. BFS: Kernkraftwerke in Deutschland abgerufen am 13. November 2013
  3. BfS: Kernkraftwerke in Deutschland - Meldepflichtige Ereignisse seit Inbetriebnahme abgerufen am 25. September 2013
  4. Märkische Allgemeine: Vom "Kontrakt 903" zum Kernkraftwerk - Neue Ausstellung in der Rheinsberger Schlossremise eröffnet vom 23. Januar 2013
  5. Märkische OnlineZeitung: KKW mit Chruschtschows Segen vom 5. September 2012
  6. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Die Energiepolitik der DDR - Mängelverwaltung zwischen Kernkraft und Braunkohle, Verlag Neue Gesellschaft GmbH, Bonn, 1988. → online auf epub.ub.uni-muenchen.de
  7. DER SPIEGEL 17/1987: Mir läuft der kalte Schauer über den Rücken vom 20. April 1987
  8. Johannes Abele: Kernkraft in DDR - Zwischen nationaler Industriepolitik und sozialistischer Zusammenarbeit, in: TU Dresden/Hannah-Arendt-Institut, Berichte und Studien Nr. 26, Dresden 2000. S. 15, 78, 89.
  9. Berliner Zeitung: KKW Rheinsberg: Gericht erkennt Leukämie als Berufskrankheit an vom 27. März 1999
  10. EWN: Firmenporträt/Aufgabe abgerufen am 29. Dezember 2012
  11. Deutscher Bundestag: Hauptgebäude des AKW Rheinsberg kann ab 2069 abgerissen werden vom 18. November 2011 via WayBack
  12. 3sat: Ältestes Kernkraftwerk wird zurückgebaut - 40.000 Tonnen radioaktiv belastete Reststoffe vom 27. Februar 2012
  13. Potsdamer Neueste Nachrichten: AKW-Rheinsberg verschwindet Stück für Stück vom 26. März 2007
  14. Mitteldeutsche Zeitung: Der lange Abschied vom AKW Rheinsberg vom 25. Juli 2012
  15. dradio.de: Auch eine Art Kernspaltung vom 11. Dezember 2007
  16. Märkische Oderzeitung: Vom ersten Spatenstich bis zum Rückbau vom 21. Januar 2013
  17. Welt Online Demontage des letzten Großteils in KKW Lubmin begonnen vom 26. Februar 2013
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