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Strahlung, Grenzwerte, Gesundheitsgefährdung > Leiharbeiter in Atomanlagen

Einsatz im Regelbetrieb und bei der Revision

Die Beschäftigung von Fremdarbeitern (Leiharbeitern oder Mitarbeitern von Subunternehmen) in Atomanlagen ist seit Mitte der 1980er Jahre gelegentlich in den Medien beleuchtet worden, zunächst aufgrund ungenügenden Arbeitsschutzes, hoher Strahlungsrisiken und geringer Entlohnung, in jüngster Zeit aufgrund der Gefährdung durch eingeschleuste "Schläfer" des islamistischen Terrorismus´.

2009, als in Deutschland noch 17 Atomkraftwerke betrieben wurden, waren nach einer Rechnung der Bundesregierung 24.346 Fremdarbeiter beschäftigt, bei einem Eigenpersonal von 5.892. Hinzu kamen bei den Forschungsreaktoren 1.485 Fremdarbeiter und 1.058 eigene Mitarbeiter. Zum Anteil der Leiharbeiter unter den Fremdarbeitern konnte die Bundesregierung keine Informationen liefern.[1]

Die Fremdarbeiter wurden und werden nicht nur während des Regelbetriebs, sondern auch bei Revisionen eingesetzt. So waren beispielsweise während der Jahresrevision 2011 im deutschen AKW Grafenrheinfeld 1.500 Fremdarbeiter tätig. 2012 beschäftigten die Schweizer Atomkraftwerke Mühleberg 650 und Leibstadt 2.000 Fremdarbeiter während der Jahresrevision.[2][3]

Gesundheitsgefährdung - Deutlich erhöhte Radioaktivität bei der Revision von AKW

1986-2007

1986 nahm sich der "Spiegel" anlässlich eines neuen Buches des Enthüllungsautors Günter Wallraff des Themas an. Wallraff hatte den Atomkonzernen vorgeworfen, kaum ausgebildete und unzureichend geschützte freiberufliche oder festangestellte Mitarbeiter von Fremdfirmen würden in Atomanlagen "systematisch "verheizt"". Damit sollte das Gesundheitsrisiko für festangestelltes Personal niedrig gehalten werden. Fremdarbeiter würden mit niedrigen Stundenlöhnen in Bereichen hoher Strahlung beschäftigt, um radioaktive Rückstände zu beseitigen. Als Beispiel wurde die ehemalige Hanauer Brennelementefabrik Alkem genannt: "Sie wiegen Plutonium, kehren strahlenden Staub zusammen oder packen radioaktive Substanzen für Brennelemente ab." Die Fremdarbeiter in den Atomkraftwerken Stade und Unterweser wurden bei ihrer Tätigkeit einer fünffach höheren Strahlung ausgesetzt als das Stammpersonal. Die Arbeitsschutzvorkehrungen wären unzureichend, und oft würden Dosimeter manipuliert, um die Arbeit nicht zu verlieren. Die Folge: ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. Betreiber von Atomanlagen wiesen die Darstellung Wallraffs als überzogen zurück.[4]

Zufall oder nicht, im selben Jahr 1986 wurde einer der größten Atommüllskandale der Bundesrepublik Deutschland aufgedeckt, der sich im Hanauer Stadtteil Wolfgang abgespielt hatte.

Hanauer "Atomdorf"

1989 sprach der "Spiegel" von "chaotischen Zuständen" beim Einsatz von Arbeitern in Atomkraftwerken. Insbesondere bei Leiharbeitern und Beschäftigten von Fremdfirmen würden die Strahlenschutzvorschriften sowie Sicherheitsunterweisungen und Schulungen vernachlässigt. Wegen innerer Verstrahlung und Krebserkrankung bei einem Fremdarbeiter ermittelte die Staatsanwaltschaft. Manche Fremdarbeiter, so wurde berichtet, waren mit Diebstahl-, Alkohol- und Rauschgiftdelikten belastet. 1985 und 1986 atmeten im kerntechnischen Zentrum in Karlstein 20 Arbeiter "in der Abwasser-Anlage ein radioaktives Stoffgemisch ein, vor allem Americium 241. Sechs von ihnen waren, so der nuklearmedizinische Befund, einer Dosis "oberhalb der zulässigen Jahresaktivitätszufuhr" ausgesetzt." Weitere gravierende Mängel in Karlstein wurden genannt.[5]

1999 berichtete die "Berliner Zeitung" von Leiharbeitern, die sich über "schwere Versäumnisse beim Strahlenschutz" bei der Bayernwerk AG und anderen Konzernen beschwerten, die in der Atomwirtschaft systematisch verschwiegen würden. "In Isar-1 mußte [der Leiharbeiter] Schmidt Fußböden putzen und in der "Deko-Box" arbeiten, einer Sicherheitskammer mit Bullaugen. Dort "dekontaminierte" er hochgradig strahlende Metallteile aus dem Reaktor, indem er sie mit Wasser abspritzte. "Es hieß immer: schnell, schnell, rein, raus, rein. Ich hab mal vorgeschlagen, das von außen zu machen, um nicht so viel Dosis abzukriegen. Hat aber nichts genützt.""[6]

Isar 1 (Bayern)

Die französische Arbeitsministerin untersagte 1998 den Konzernen in einem Erlass, die 22.000 Leiharbeiter in den am stärksten strahlenden Bereichen von Atomkraftwerken einzusetzen.[6] 2007 wurde im "Focus" auf eine Häufung von Selbstmorden in französischen AKW hingewiesen; als Ursachen wurden die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen und der erhöhte Arbeitsdruck angegeben.[7]

2011/2012

Weite Verbreitung in überregionalen Medien fand aufgrund des im gleichen Monat beschlossenen Atomausstiegs die Antwort der Bundesregierung vom 1. Juni 2011 auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag. Darin waren detaillierte Informationen über "Werk- und Leiharbeit in Atomkraftwerken in Deutschland" enthalten.[1]

Nach Informationen der Bundesregierung besaßen insgesamt 67.861 Personen, die beruflich radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren, Strahlenpässe. Dabei war die Stammbelegschaft mit 5.892 Arbeitern einer Strahlenbelastung von 1,7 Sievert jährlich ausgesetzt, die 24.346 Fremdarbeiter hingegen von 12,8 Sievert, also rund 90 % des Gesamtwertes. Allerdings habe die Durchschnittsbelastung weit unter dem in Europa üblichen Grenzwert gelegen.[1] Diese Informationen der Bundesregierung wurden beispielsweise in der "Süddeutschen Zeitung" und im "Spiegel" mit gerundeten Zahlen wiedergegeben.[8][9]

Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW wies auf den hohen Stress bei Fremdarbeitern hin und dass sich Wartungsfirmen wie Siemens und AREVA ihrer Verantwortung für externes Personal entledigten.[10]

Datei:Französische Atomkraftbetreiber beschäftigen Leiharbeiter in AKWs

ZDF, hochgeladen am 24. April 2011 auf YouTube

2012 erschien im "Deutschlandfunk" ein Artikel mit dem Titel "Unterbezahlt und hoch gefährdet", in dem über Leiharbeiter berichtet wurde, die in den radioaktiven Zonen französischer Atomkraftwerke arbeiten. Die sogenannten "Atom-Nomaden" hatten einen Selbsthilfeverein gegründet. Einige von ihnen klagten gegen ihre Arbeitgeber, wie z. B. ein Dekontaminierer, der regelmäßig mit radioaktiven Substanzen in Kontakt kam. "Aufgrund unzureichender Schutzvorkehrungen und fehlender Schutzkleidung erkrankte der AKW-Arbeiter an Lungenkrebs. Im Sommer 2009 wurde sein Krebs als berufsbedingte Krankheit anerkannt". Er forderte vor Gericht Entschädigung von seinem Arbeitergeber, einem Subunternehmen. Zwei weitere Fremdarbeiter wurden bei Wartungsarbeiten in einem AKW innerlich kontaminiert.

Der Selbsthilfeverein der französischen Fremdarbeiter möchte erreichen, dass die Strahlungsrisiken durch die Atomkonzerne verringert werden, indem beispielsweise in Bereichen höchster Strahlungsdosen Roboter eingesetzt werden. Die Aufsichtsbehörde Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) forderte von der Electricité de France (EDF), ihrer Verantwortung für extern vergebene Arbeiten gerecht zu werden. 2000 war bereits eine Studie der Soziologin Annie Thébaud-Mony erschienen, in der die gesundheitliche Gefährdung von Leiharbeitern wissenschaftlich aufgearbeitet worden war.[11]

2016

Im März 2016 wurden in Brüssel Anschläge durch islamische Fundamentalisten verübt und dabei auch ein französischer Atomforscher durch die Attentäter ausspioniert. Bei den Behörden wuchsen Befürchtungen, dass sich im internen oder externen Personal von Atomkraftwerken auch Sympathisanten von Terrororganisationen verbergen und dort Angriffe verüben könnten. Diese Befürchtungen kamen nicht von ungefähr: "So hat ein Dschihadist als Mitarbeiter einer externen Dienstleistungsfirma im Hochsicherheitsbereich des belgischen Kernkraftwerks Doel gearbeitet, bevor er als IS-Kämpfer nach Syrien reiste und dort starb."[12]

Belgien

Weitere Links

→ Deutscher Bundestag Geschlechtsspezifische Belastungen und Risiken von Atomkraftwerken in der Bundesrepublik Deutschland (Antwort auf Kleine Anfrage, Drucksache 17/12017) vom 17. Januar 2013
→ Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Verordnung für die Überprüfung der Zuverlässigkeit zum Schutz gegen Entwendung oder Freisetzung radioaktiver Stoffe nach dem Atomgesetz (Atomrechtliche Zuverlässigkeitsüberprüfungs-Verordnung - AtZüV)
→ Bayerisches Landesamt für Umwelt Strahlung - Tätigkeiten in fremden Anlagen

(Letzte Änderung: 03.04.2016)

Einzelnachweise

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