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Einflussnahme und Kampagnen der Atomlobby > Laufzeitverlängerung 2010

Mobilisierung von Politikern

Anti-AKW-Mahnwache Hannover

Noch waren die Konzerne nicht am Ziel. Zwar war ab September 2009 eine atomfreundliche schwarz-gelbe Koalition an der Regierung, aber um die Laufzeitverlängerung wirklich zu erreichen, waren zusätzliche Schritte nötig. Dazu mussten zum einen Politiker mobilisiert werden, die bekanntermaßen Anhänger der Atomkraft waren: Wolfgang Clement, Michael Fuchs, Michael Glos, Kurt Joachim Lauk, Günther Oettinger und andere. Diese unterstützten die Interessen der Konzerne 2010 durch immer lauter werdende Forderungen nach Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke. → Die Lobbyisten

Atomkraftfreundliche Studien durch EEFA und R2B

Die Industrie ließ sich durch die EEFA (Energy Environment Forecast Analysis), ein Forschungsinstitut, das Beratungsleistungen in den Bereichen Energie und Umwelt anbot[1], atomkraftfreundliche Analysen erstellen.

2009 prognostizierte die EEFA, dass aufgrund des Emissionshandels Atomstaaten wie Frankreich wirtschaftliche Vorteile erlangen würden. Deutschland entstünden wegen des Atomausstiegs Stromzusatzkosten. Der Prognose der EEFA wurde ein Artikel im "Handelsblatt" gewidmet.[2]

Im Januar 2010 wurde in den Medien über eine Studie der Institute EEFA und R2B im Auftrag des Bundesverbands der deutsche Industrie (BDI) berichtet. Deren Ergebnis war, dass durch eine Laufzeitverlängerung ein massiver Rückgang der Stromkosten zu erwarten wäre. Deutschland würde um 256 Mrd. Euro entlastet, "Industrie und produzierendes Gewerbe" würden davon profitieren.[3]

Im April 2010 veröffentlichte EEFA eine Analyse im Auftrag des Weltenergierats, aus dem hervorgeht, dass bei einer Beibehaltung des Atomausstiegs die Versorgungssicherheit Deutschlands gefährdet sei, und empfahl: "Den mit weitem Abstand größten Hebel zur Steigerung der Versorgungssicherheit bietet die Laufzeitverlängerung bei Kernkraftwerken auf 60 Jahre."[4]

EEFA (Homepage, via WayBack)
R2B (Homepage)

Anzeigenkampagne durch Agentur Jung von Matt

Im August 2010 beauftragte die Atomlobby die Agentur Jung von Matt mit einer Anzeigenkampagne mit dem Titel "Energiepolitischer Apell". Über diese Kampagne berichtete "LobbyControl" wie folgt:

"Die Atomlobby versucht, den Druck auf die Bundesregierung weiter zu erhöhen. Am Samstag erschien in zahlreichen Zeitungen große Anzeigen mit einem "Energiepolitischen Appell". (…) Anzeigenkampagnen dieser Art leben davon, dass das (ökonomische) Interesse der Initiatoren in ein gut klingenden rhetorischen Mantel gehüllt wird und die Anzeige durch einen breiten und vielfältigen Unterzeichnerkreis eine starke Glaubwürdigkeit erhält. Deshalb spricht die von der Agentur Jung von Matt entworfene Anzeige auch von "ökologischem Umbau" oder "Zukunftsfähigkeit". Deshalb haben die Initiatoren (…) Leute wie den Publizisten Manfred Bissinger oder den Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff als Unterzeichner gewonnen. (…) Allerdings hört es dann auch schnell auf. Der Großteil der Unterzeichner kommen von den Energiekonzernen, aus energie-intensiven Unternehmen und dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Dazu kommen mit Kurt Lauk und Michael Fuchs zwei unternehmensnahe Unionspolitiker sowie altgediente Seitenwechsler zwischen Politik und Lobbyismus wie Wolfgang Clement, Friedrich Merz und Otto Schily."[5]

Der Initiator der Kampagne, der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann, soll im Sommer 2010 zwölf Stunden täglich telefoniert haben, um Freunde aus Politik und Wirtschaft für die Kampagne zu gewinnen, bis er wegen Herzproblemen ins Krankenhaus eingeliefert wurde.[6] → AtomkraftwerkePlag: Großmann, Jürgen

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk bestritt Manfred Bissinger, einer der Unterzeichner, später, ein Atomlobbyist zu sein. Er sei vom damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann in einem Brief kontaktiert worden und hätte die Initiative unterzeichnet, weil er Atomenergie als Übergangstechnologie für notwendig halte, damit der künftige Umstieg auf erneuerbare Energien finanziert werden könne.[7]

In einem Artikel des "NDR" wurde die Kampagne als "Durchsichtige PR der Atomlobby" bezeichnet.[8]

→ FAZ.net: Energiepolitischer Appell - 40 Manager greifen Röttgens Politik an vom 21. August 2010 mit einer Liste der Unterzeichner

Behinderung einer TV-Dokumentation und Gründung einer atomfreundlichen "Bürgerinitiative"

Die Atomlobby bediente sich aber auch noch anderer Maßnahmen. So wurde die Fernsehautorin Gesine Enwaldt beispielsweise bei Dreharbeiten für die TV-Dokumentation "Die Atomlüge" behindert. Des Weiteren hatte die Atomlobby eine sogenannte Bürgerinitiative mit dem unverfänglichen Namen "Bürger für Technik (BfT)" gegründet, die 2008 enttarnt worden war und jahrelang für die Kernkraft warb.[9] Dieser Verein rekrutierte sich personell aus Mitgliedern der Kerntechnischen Gesellschaft (KTG) und infiltrierte das Internet mit atomfreundlichen Webseiten, aus dem sich z. B. auch Schüler Referate herunterladen konnten. Er versandte angebliche Leserbriefe an Zeitungen, die zum Teil auch abgedruckt wurden.[10] Die Website war überladen mit atomkraftfreundlichen und ökostromfeindlichen Beiträgen und "Leserbriefen".[11]

→ AtomkraftwerkePlag: Bürger für Technik (BfT)

Das alles war aber nichts wirklich Neues: Als Reaktion der Atomindustrie auf die Proteste gegen das AKW Wyhl waren bereits Mitte der 1970er Jahre als Bürgerinitiativen getarnte Lobbyorganisationen entstanden. → Atomlobby: Öffentlichkeitsarbeit seit den 50er Jahren

Pyrrhussieg

Die Bemühungen der Energiekonzerne zahlten sich schließlich aus. Am 5. September 2010 leitete Angela Merkel in einer Vereinbarung die Laufzeitverlängerung ein, die weitere langjährige Milliardengewinne versprachen. → Merkel: Ausstieg aus dem Ausstieg

Die Laufzeitverlängerung galt – wie die "Zeit" im Artikel "Die strahlenden Sieger der Atomlobby" herausstellte – als großer politischer Erfolg der Atomlobby, den sich andere Branchen zum Vorbild machten.[12]

Mit dieser intensiven Einflussnahme hatten die Energiekonzerne aber möglicherweise doch mehr Porzellan zerschlagen als beabsichtigt. Der ehemalige Umweltminister Röttgen kritisierte im Juli 2011 diese Einflussnahme als Lobbyismus und hatte sich mehrmals überlegt zurückzutreten.[13] Dies könnte dazu beigetragen haben, dass der Atomausstieg nach Fukushima sehr schnell beschlossen wurde – und diesmal ohne die Energiekonzerne.

(Letzte Änderung: 13.01.2024)

Einzelnachweise

  1. EEFA: Das Institut abgerufen am 1. März 2020 (via WayBack)
  2. Handelsblatt: Emissionshandel treibt Industrie über die Grenze vom 22. April 2009 (via WayBack)
  3. derwesten.de Atom-Energie Studie prognostiziert Milliardenentlastung durch Akw vom 16. Januar 2010 (via WayBack)
  4. EEFA: Sicherheit unserer Energieversorgung – Indikatoren zur Messung von Verletzbarkeit und Risiken vom April 2010 (via WayBack)
  5. LobbyControl: Die Atomlobby und ihr begrenzter Freundeskreis vom 23. August 2010 (via WayBack)
  6. Zeit Online: Der letzte Saurier vom 14. Juli 2011
  7. Deutschlandfunk: "Ich bin kein Atomlobbyist" vom 23. August 2013
  8. NDR.de: Durchsichtige PR der Atomlobby vom 25. August 2010 (via Wayback)
  9. Universität Hamburg: Journalismus und PR - Konferenz-Dokumentationen erschienen vom 4. Juli 2011 (via WayBack)
  10. Zeit Online: Atomkraft – ja bitte! vom 17. April 2008
  11. www.buerger-fuer-technik.de: Bürger für Technik abgerufen am 23. Februar 2010
  12. Zeit Online: Die strahlenden Sieger der Atomlobby vom 7. September 2010
  13. n-tv.de: "Atomlobby diktierte die Politik" - Röttgen wollte hinwerfen vom 20. Juli 2011
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