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Die Lobbyorganisationen > Kerntechnik Deutschland e. V. (KernD)/Deutsches Atomforum (DAtF)

Wichtigste deutsche Lobbyorganisation

Ralf_Güldner_-_Wie_mächtig_ist_die_Atomlobby?_(Interview)

Ralf Güldner - Wie mächtig ist die Atomlobby? (Interview)

Interview mit Ralf Güldner (hochgeladen in YouTube am 28. Juli 2013): "Wir agieren in keiner Weise gegen die Erneuerbaren."

Kerntechnik Deutschland e. V. (KernD), bis 2019 das Deutsche Atomforum e. V. (DAtF), ist die bedeutsamste Lobbyorganisation für Atomenergie in Deutschland. Das Deutsche Atomforum entstand am 26. Mai 1959 als Zusammenschluss der "Arbeitsgemeinschaft für Kerntechnik", der "Deutschen Gesellschaft für Atomenergie (DGA)", dem Verein "Atom für den Frieden" und der "Physikalischen Studiengesellschaft (PSG)". Ziel des Vereins ist die Förderung der friedlichen Nutzung der Atomenergie in Deutschland.[1]

"Zu den Mitgliedern zählen Organisationen aus allen Sektoren und Anwendungsfeldern der Kerntechnik: Energieversorgungsunternehmen, Hersteller, Zulieferer, Dienstleister, Hochschulen und Forschungsinstitute, Wirtschaftsvereinigungen etc."[2]

Aus dem DAtF heraus wurden 1969 die Kerntechnische Gesellschaft (KTG) und 1975 der Informationskreis KernEnergie (IK) als weitere Lobbyorganisationen gegründet.[1]

Präsident des DAtF war lange Zeit Dr. Ralf Güldner, seit 2008 Mitglied der Geschäftsführung der E.ON Kernkraft GmbH. Güldner bekleidete darüber hinaus leitende Positionen bei wichtigen Lobbyorganisationen: der Kerntechnischen Gesellschaft (KTG), der World Nuclear Association (WNA) und der FORATOM, der Dachorganisation der europäischen Atomforen.[3]

2019 wurde das DAtF mit dem Wirtschaftsverband Kernbrennstoff-Kreislauf und Kerntechnik e.V. (WKK) zum Verein Kerntechnik Deutschland e. V. (KernD) verschmolzen.[2] Vorsitzender des Vorstandes ist seitdem Dr. Joachim Ohnemus, Geschäftsführer der URENCO Deutschland GmbH.[4]

Systematische Öffentlichkeitsarbeit seit 1959

Mit der Gründung des Deutschen Atomforums begann Ende der 1950er Jahre eine zentral gesteuerte und systematische Öffentlichkeitsarbeit zur Förderung der Atomenergie. Hierfür gab es Bedarf, da die in der ersten Atomeuphorie entstandenen Kostenkalkulationen nach oben und die industriellen Chancen für die Atomkraft nach unten korrigiert werden mussten. Im Deutschen Atomforum waren nicht nur Vertreter der Energiewirtschaft, sondern anfangs auch Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen vertreten; es trieb die schnelle Errichtung großer Leistungsreaktoren voran.[5]

In den 1960er Jahren setzte sich der damalige Präsident des Deutschen Atomforums, Karl Winnacker, für den Bau großer Atomkraftwerke ein, obwohl Energie günstig und im Überfluss vorhanden war und Atomkraftwerke subventioniert werden mussten. Angesichts des Aufkommens der Antiatomkraftbewegung veröffentlichte das Atomforum 1973 in hoher Auflage die Broschüre "66 Fragen, 66 Antworten. Zum besseren Verständnis der Kernenergie." Darin wurde über Atomenergie informiert und versucht, deren Gefahren herunterzuspielen. Als nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 die Stimmen für einen Atomausstieg lauter wurden, propagierte das Deutsche Atomforum die weitere Nutzung der Atomenergie über eine Werbekampagne für 10 Mio. Deutsche Mark. Es erschienen Anzeigen in Tageszeitungen, "in denen der Präsident der Bundesärztekammer Vilmar erklärte, dass die Wahrscheinlichkeit gesundheitlicher Schäden durch Tschernobyl "äußerst gering" sei. Der Ärztepräsident forderte seine Kollegen auf, sie sollten ihre Patienten aufklären, um "unsinnigen Spekulationen, Unsicherheit und Hysterie" zu begegnen."[6]

Als Medien für seine Öffentlichkeitsarbeit organisierte das Deutsche Atomforum zusammen mit der Kerntechnischen Gesellschaft seit Jahrzehnten die Jahrestagung Kerntechnik, veröffentlichte Publikationen, wie z. B. die Zeitschrift Atomwirtschaft (atw), und war im Internet durch die Plattformen "kernenergie.de" und "kernfragen.de" vertreten. Auf der Jahrestagung Kerntechnik hielten atomfreundliche Persönlichkeiten Vorträge, wie beispielsweise Roland Koch (2000)[1], Kurt Joachim Lauk, Wolfgang Clement (2008); Markus Söder, Hans-Werner-Sinn (2009); Günther Oettinger, Hans-Heinrich Sander (2010).[7]

Auf der Jahrestagung Kerntechnik musizierte jährlich die Camerata Nucleare, das "Kammerorchester der Energiewirtschaft", welches 1986 vom Kraftwerksleiter in Gundremmingen gegründet worden war. Dies sollte, insbesondere nach Tschernobyl, das Ansehen der Atomindustrie verbessern. Das Orchester gab 2015 sein letztes Konzert am Standort Gundremmingen.[8]

Vorbereitung der Laufzeitverlängerung 2010

Das Deutsche Atomforum war maßgeblich an der erfolgreichen Durchsetzung der Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke im Jahr 2010 beteiligt. Es beauftragte für 3 Mio. Euro die Kommunikationsagentur Deekeling Arndt Advisors (DAA) mit einer Medienkampagne. Im Vorfeld der Bundestagwahl 2009 sollte eine positive "Grundstimmung" und ein "verändertes Meinungsklima" für die Atomkraft geschaffen werden.[9]

Der ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel kritisierte das DAtF zum 50jährigen Jubiläum 2009 wie folgt: ""50 Jahre Atomforum – das bedeutet ein halbes Jahrhundert Lug und Trug. Die Propagandazentrale der Atomkonzerne steht wie kaum eine andere Institution für das bewußte Verschweigen, Verdrängen und Verharmlosen der Gefahren, die mit der kommerziellen Nutzung der Atomenergie verbunden sind. (...) Es hat in den 50 Jahren seiner sinnlosen Existenz keinen Propagandatrick und erst recht keine Kosten gescheut, den Deutschen die Atomkraft schmackhaft zu machen - und ist doch genau daran gescheitert."[10]

Das Deutsche Atomforum lehnte bereits am Tag nach der Fukushima-Katastrophe 2011 eine Revision der Laufzeitverlängerung ab. Der ehemalige Präsident Ralf Güldner behauptete, deutsche AKW seien wesentlich sicherer als japanische. Fukushima sei ein "einmaliges Ereignis", bei dem zwei Naturkatastrophen aufeinandertrafen, was in Deutschland nicht möglich sei.[11]

Einsatz für Gorleben als Endlager

Im April 2010 setzte sich das DAtF für Gorleben als Atommüll-Endlager ein, um die Investitionen der Atomindustrie zu sichern. "Sein Präsident Ralf Güldner sagte, es gebe aus technischer Sicht keine Argumente für eine Ablehnung, außerdem seien inzwischen 1,6 Mrd. Euro in den Bau der Deponie investiert worden."[12]

Am 9. November 2011, wahrscheinlich anlässlich eines Castor-Transports nach Gorleben, wurde die Homepage "kernenergie.de" des Deutschen Atomforums vorübergehend gehackt. Auf der Seite war die rote Sonne der Anti-Atomkraftbewegung mit dem Spruch "Kernenergie – So sicher wie diese Website" zu sehen. Bevor die Homepage wiederhergestellt wurde, konnte die Abbildung von Netznutzern dokumentiert werden.[13]
→ twitpic.com: Kernenergie. So sicher wie diese Website.

Bei der "Jahrestagung Kerntechnik" im Mai 2012, die von Protesten von Umweltschützern begleitet wurde, warb das Deutsche Atomforum weiterhin für Gorleben als Endlager. Die atomfreundliche "Welt" widmete der Tagung einen Artikel.[14] Nachdem Bundesumweltminister Altmaier einen Erkundungsstopp von Gorleben bekanntgegeben hatte, erschien im Dezember 2012 in der "Welt" ein Artikel, in dem Ralf Güldner verkündete, dass die Energiekonzerne ihrerseits über einen Finanzierungsstopp bei der Erkundung nachdächten. Außerdem drohte er damit, dass die Atomindustrie, wenn Gorleben als Endlager ausgeschlossen werde, Schadenersatz geltend machen könnte.[15]

Kapitulation vor der Energiewende?

Im Oktober 2012 wurde wegen des Atomausstiegs und der geänderten Energiepolitik von E.ON, RWE und EnBW bereits über ein Ende des Atomforums spekuliert.[16]

Im April 2013 pries das Deutsche Atomforum die Produktionsergebnisse deutscher Atomkraftwerke an, die zu den produktivsten der Welt gehörten. Zugleich war aber ein Strategiewechsel bei der Öffentlichkeitsarbeit des DAtF zu erkennen: Es wurde nun plötzlich argumentiert, dass die AKW einen Beitrag zur Unterstützung der Energiewende leisteten, da sie die Schwankungen bei der Produktion erneuerbaren Energien ausgleichen würden.[17]

Mittlerweile hatte auch das Atomforum erkannt, dass Atomkraftwerke nicht mehr rentabel waren. Ralf Güldner wies im Mai 2013 darauf hin, dass sich in Deutschland aufgrund sinkender Strompreise und der Brennelementesteuer kaum mehr Geld mit Atomkraft verdienen lasse. Die Atomwirtschaft erwog einen vorzeitigen Ausstieg.[18]

Im Oktober 2013 wurde im "Handelsblatt" neuerdings die Existenzberechtigung des Deutschen Atomforums nach dem Ausstiegsbeschluss diskutiert. Die künftige Funktion könnte darin bestehen, bei Rückbau und Endlagerung mitzuwirken und Deutschland mit Expertise bei Forschung und Technologie im Bereich Atomkraft zu vermarkten.[19]

In seiner Eröffnungsrede zur Jahrestagung Kerntechnik 2014 lobte der ehemalige Präsident Güldner den Ausbau der Atomkraft in Asien und beklagte zugleich schlechte Bedingungen für die Atomindustrie in Europa. Lediglich in der britischen Förderpolitik für die geplanten Reaktoren Hinkley Point und Sizewell in Großbritannien sah er einen Lichtblick und hoffte auf einen Ausbau in Osteuropa. Er kritisierte, dass es in Deutschland angesichts der Ukraine-Krise keine Bereitschaft dafür gebe, über den Atomausstieg zu diskutieren.[20] In der Eröffnungsrede 2015 thematisierte Güldner u.a. die Arbeit der Kommission "Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe" (Endlagerkommission), die Zwischenlagerung, die internationale Entwicklung der Atomkraft und die Kompetenzerhaltung.[21]

Präsidenten des Deutschen Atomforums

Die Präsidenten waren mit Ausnahme von Karl Winnacker allesamt hochgestellte Manager deutscher Atomkonzerne.[1] Den drei letzten Präsidenten haben wir eigene Seiten gewidmet.

1959-1973 Prof. Dr. Karl Winnacker (Vorsitzender des Vorstands der Hoechst AG)
1973-1979 Prof. Dr. Heinrich Mandel (Vorstandsmitglied der RWE AG)
1979-1985 Prof. Dr. Rudolf W. Guck (Vorstandsmitglied der Badenwerk AG)
1985-1995 Dr. Claus Berke (Geschäftsführer der Interatom)
1995-1999 Dr. Wilfried Steuer (Vorsitzender des Vorstands der Energie-Versorgung Schwaben AG)
1999-2001 Dr. Otto Majewski (Vorstandvorsitzender der Bayernwerk AG)
2001-2004 Dr. Gert Maichel (Mitglied des Vorstands der RWE AG)
2004-2010 Dr. Walter Hohlefelder (Vorstandsmitglied der E.ON Energie)
2010-2019 Dr. Ralf Güldner (Vorsitzender der Geschäftsführung der E.ON Kernkraft GmbH (EKK))


(Letzte Änderung: 16.02.2020)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 kernenergie.de: 50 Jahre Deutsche Atomforum e.V. vom Juli 2009 (via WayBack)
  2. 2,0 2,1 kernd.de: Kerntechnik Deutschland e. V. (KernD) abgerufen am 11. Februar 2020
  3. kernenergie.de: Dr. Ralf Güldner, Präsident des DAtF abgerufen am 8. März 2018 (via WayBack)
  4. kernd.de: Dr. Joachim Ohnemus, Vorsitzender des Vorstands abgerufen am 11. Februar 2020
  5. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 70, 106f.
  6. Deutschlandfunk: Eine starke Lobby - Das deutsche Atomforum und die Entwicklung der Kerneneregie vom 16. März 2011
  7. kernenergie.de: Tagungen abgerufen am 13. Oktober 2013 (via WayBack)
  8. FAZ.net: Orchester der Atomindustrie - Die Unvollendete vom 20. Februar 2015
  9. Frankfurter Rundschau: Enthüllung: Stimmungswandel im Auftrag der Atomlobby vom 1. November 2011
  10. forumz.de: Gabriel: 50 Jahre Atomforum - ein halbes Jahrhundert Lug und Trug vom 1. Juli 2009
  11. Handelsblatt: Deutsche Atomkonzerne in Defensive vom 13. März 2011
  12. heise.de: Noch keine Einigung über Atommüll-Endlagersuche - Wahltaktik und Besitzstandswahrung verhindern Neuanfang vom 25. April 2012
  13. heise.de: Homepage des Deutschen Atomforums gehackt vom 9. November 2011
  14. Welt Online: Atomforum setzt weiter auf Gorleben als Endlager-Kandidaten vom 22. Mai 2012
  15. Welt Online: AKW-Betreiber prüfen Zahlungsstopp für Gorleben vom 23. Dezember 2012
  16. Focus Online: Deutsches Atomforum vor dem Aus? vom 1. Oktober 2012
  17. na presseportal: Deutsche Kernkraftwerke gehören zu den produktivsten der Welt vom 22. April 2013 (via WayBack)
  18. Der Tagesspiegel: Kernkraft-Kongress - Atomlobby droht mit vorzeitigem Ausstieg vom 14. Mai 2013
  19. Handelsblatt: Atom adieu vom 28. Oktober 2013
  20. kernenergie.de: Eröffnungsansprache zur Jahrestagung Kerntechnik vom 6. Mai 2014
  21. kernenergie.de: Eröffnungsansprache - Annual Meeting on Nuclear Technology (AMNT, Jahrestagung Kerntechnik), 05. bis 07. Mai 2015, Berlin abgerufen am 2. Oktober 2015
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