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Strahlung, Grenzwerte, Gesundheitsgefährdung > Grenzwerte

Strahlung ignoriert Grenzwerte

Datei:Leichtathletik WM 2009 Berlin.jpg

Anders als Sportler muss Strahlung keine Hürden überwinden.

Im Zusammenhang mit Störfällen oder anderen Unregelmäßigkeiten hören wir immer wieder beruhigende Sätze, wie z. B. "Die Strahlung lag unterhalb der zugelassenen Grenzwerte. Es bestand keine Gefahr für die Bevölkerung."

Grenzwerte implizieren, dass Strahlung, die oberhalb festgelegter Grenzwerte liegt, gefährlich sei, "niedrigenergetische" Strahlung unterhalb der Grenzwerte aber ungefährlich. Dies behaupteten die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) und die WHO seit Jahrzehnten. Erst im Mai 2011 rückte die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan von dieser Position ab und bestätigte, dass es keine ungefährliche radioaktive Strahlung gibt.[1]

Ionisierende Strahlung, gleichgültig mit welcher Intensität sie auftritt, hält sich nicht an Richtwerte, sondern kann immer Schäden an Materie, Organen und Gewebe verursachen, die ihr ausgesetzt sind. Sie entfernt Elektronen aus den Atomen, so dass nur noch Ionen oder Molekülreste übrigbleiben, und kann schwere Krankheiten wie Krebs verursachen.[2]

Grenzwerte dienen vor allem dem Zweck, der Bevölkerung eine Sicherheit vorzugaukeln, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Dies gilt vor allem für willkürlich festgelegte Grenzwerte in Nahrungsmitteln, wie wir weiter unten sehen werden.

Wer legt die Grenzwerte fest?

Richtlinien und Empfehlungen zur Auswirkung von Strahlung und zu Grenzwerten erarbeiten laut Angaben der Lobbyorganisation WNA die ICRP und die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO).[3] Die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) nennt internationale Organisationen wie die ICRP, UNSCEAR, BEIR und EURATOM.[4][5]

Alle diese internationalen Organisationen gelten als atomkraftfreundlich, insbesondere die IAEO und EURATOM, deren statusgemäße Aufgabe die Förderung der Atomkraft ist. Die Internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) spricht Empfehlungen für den Schutz der Bevölkerungen und bestimmte Berufsgruppen aus, wofür sie ein "System der Dosisbegrenzung" entwickelt hat. Von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW oder Spezialisten wie dem Präsidenten Alexej Jablokow, Präsident des Zentrums für russische Umweltpolitik, und dem Strahlenbiologen Wolfgang Köhlein wird der ICRP vorgeworfen, die Grenzwerte im Interesse der Atomindustrie zu niedrig angesetzt zu haben. Physiker Sebastian Pflugbeil bezeichnet die ICRP als Lobbyorganisation.

→ AtomkraftwerkePlag: International Commission on Radiological Protection (ICRP)

In Deutschland übt die Strahlenschutzkommission (SSK) eine beratende Funktion bei der "Bewertung biologischer Strahlenwirkungen und Dosis-Wirkungsbeziehungen" und in Bezug auf "Dosisgrenzwerte und daraus abgeleitete Grenzwerte" aus. Hier gibt sie allerdings nur Stellungnahmen und Empfehlungen ab, wie Richtlinien und Empfehlungen der oben genannten internationalen Organisationen in Deutschland umgesetzt werden sollen.[6]

→ AtomkraftwerkePlag: Strahlenschutzkommission (SSK)

Grenzwerte für die effektive Dosis

Die Grenzwerte für die effektive Dosis ionisierender Strahlung pro Jahr werden durch die Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) festgelegt: Hierbei gelten bei Personen der Bevölkerung 1 Millisievert und bei beruflich strahlenexponierten Personen 20 Millisievert (§ 5). Weiter spezifiziert werden die Grenzwerte für beruflich Strahlenexponierte in § 55 und 56.[7]

Die genannten Werte von 1 bzw. 20 Millisievert wurden ursprünglich von der ICRP festgelegt und gelten in den meisten Staaten.[8]

Grenzwerte für Strahlung in Lebensmitteln

Die Grenzwerte für die radioaktive Belastung werden bei Lebensmitteln in der Einheit Becquerel festgelegt. Die Grenzwerte am Beispiel der Isotope Cäsium-134 und -137 entwickelten sich wie folgt:

  • Nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986
Cäsium-134 und Cäsium-137: 370 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) bei Milch, 600 Bq/kg für alle anderen Lebensmittel[9][10]
  • Nach der Eilverordnung vom 22. Dezember 1987
Cäsium-134 und Cäsium-137: 1000 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) bei Milch, 1250 Bq/kg für alle anderen Lebensmittel[11] In einer Ergänzung von 1989 wurde zusätzlich ein Grenzwert von 400 Becquerel für Säuglingsnahrung hinzugefügt.[12]
  • Seit 15. Juli 2008
Einfuhrbeschränkung für Cäsium-134 und Cäsium-137: 370 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) bei Milch, Milcherzeugnissen, sowie für Säuglingsnahrung, für alle anderen Lebensmittel 600 Bq/kg[13]
  • Nach der Fukushima-Katastrophe, 25. März 2011
Es gelten wieder die höheren Grenzwerte von Verordnung (EURATOM) Nr. 3954/87 des Rates vom 22. Dezember 1987, der Verordnung (EURATOM) Nr. 944/89 der Kommission vom 12. April 1989 und der Verordnung (EURATOM) Nr. 770/90 der Kommission vom 29. März 1990 (keine Angabe von Werten in der Quelle)[14]
  • Nach der Fukushima-Katastrophe, 8. April 2011
Einfuhrbeschränkung für Cäsium: 200 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) bei Milch und Säuglingsnahrung, für alle anderen Lebensmittel 500 Bq/kg[15]
  • Nach der Fukushima-Katastrophe, Sonderverordnung für Säuglinge und Kleinkinder, 2012
50 Bq/kg an Cs-137 und Cs-134 Milch und Molkereierzeugnisse, 50 Bq/kg an Cs-137 und Cs-134 bei Lebensmitteln für Säuglinge und Kleinkinder, 100 Bq/kg für sonstige Lebensmittel[16]

An der Historie zeigt sich, dass die Grenzwerte je nach Lage immer wieder geändert wurden. Sie wurden 1986 nach Tschernobyl zum ersten Mal festgelegt, sind ein Jahr später jedoch drastisch erhöht wurden. 2008 wurden diese wieder auf die ursprünglichen Werte gesenkt, unmittelbar nach Fukushima aber wieder massiv erhöht. Als dies öffentlich bekannt wurde, wurden im April 2011 niedrigere Werte als je zuvor eingeführt.[17]

Wie sind die Erhöhungen nach den Katastrophen zu erklären? Die Bundesregierung antwortete auf eine Kleine Anfrage des Bundestages im Mai 2011, dass in Zeiten eines atomaren Notfalls eine Erhöhung der Strahlungsdosis nötig sei, um Versorgungsengpässe bei Lebensmitteln zu vermeiden.[15] Diese Begründung mutet insbesondere im Falle von Fukushima wenig plausibel an, da der Nahrungsmittelimport aus Japan und angrenzenden Ländern für Deutschland nur einen geringen Anteil hat.

Die Organisationen foodwatch und IPPNW (atomkritische Ärztevereinigung) forderten jedenfalls im September 2011 eine Absenkung der geltenden Cäsium-Grenzwerte von 370 auf 8 Becquerel bei Säuglingsnahrung und Milchprodukten sowie von 600 auf 16 Becquerel bei sonstigen Lebensmitteln. Die EU-Richtlinien seien deutlich höher als in Tschernobyl, und die EU akzeptiere laut IAEO dadurch eine hohe Zahl zusätzlicher Todesfälle durch Krebs.[18][19]



(Letzte Änderung: 11.03.2014)

Einzelnachweise

  1. taz.de: WHO-Chefin gibt es erstmals zu - Radioaktive Strahlung immer gefährlich vom 5. Mai 2011
  2. Greenpeace: Was ist Radioaktivität und wie wirkt sie? abgerufen am 14. Februar 2014
  3. WNA: Nuclear Radiation and Health Effects/Standards and regulation of radiation exposure abgerufen am 14. Februar 2014
  4. SSK: Jahresbericht 2012 abgerufen am 13. September 2013
  5. SSK: Ausschuss Strahlenrisiko agerufen am 11. März 2014
  6. SSK: Jahresbericht 2012, S. 10 abgerufen am 13. September 2013
  7. Gesetze im Internet: Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) abgerufen am 14. Februar 2014
  8. WNA: Nuclear Radiation and Health Effects/Limiting exposure abgerufen am 14. Februar 2014
  9. Süddeutsche.de: Atomkatastrophe in Japan - EU schwächt Grenzwert für verstrahlte Lebensmittel ab vom 31. März 2011
  10. Focus Online: Radioaktivität in Lebensmitteln - Grenzwerte – mal so, mal so vom 12. April 2011
  11. eur-lex.europa.eu: VERORDNUNG (EURATOM) Nr. 3954/87 DES RATES vom 22. Dezember 1987
  12. eur-lex.europa.eu: Verordnung (EURATOM) Nr. 2218/89 des Rates vom 18. Juli 1989
  13. eur-lex.europa.eu: VERORDNUNG (EG) Nr. 733/2008 DES RATES vom 15. Juli 2008
  14. eur-lex.europa.eu DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) Nr. 297/2011 DER KOMMISSION vom 25. März 2011
  15. 15,0 15,1 Deutscher Bundestag: Drucksache 17/5720 vom 5. Mai 2011
  16. Deutscher Bundestag: Drucksache 17/14395, S. 6 vom 12. Juli 2013
  17. foodwatch: HINTERGRUND: GRENZWERTE FÜR DIE STRAHLENBELASTUNG VON LEBENSMITTELN abgerufen am 14. Februar 2014
  18. foodwatch: Zu lasche Radioaktivitäts-Grenzwerte in EU und Japan vom 20. September 2011
  19. IPPNW Nach Fukushima: Strahlen-Grenzwerte für Lebensmittel bieten keinen ausreichenden Gesundheitsschutz vom 20. September 2011
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