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So marktwirtschaftlich Erhard sonst auch dachte: Das 1963, im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft aufgesetzte zweite Atomprogramm war ihm eine kräftige Finanzspritze wert. "3,8 Milliarden Mark steckt der Staat in Forschung, Entwicklung, Bau und Betrieb von Versuchsanlagen und Prototypen. 1967 ''[unter Nachfolger Kiesinger]'' wird das dritte Programm für die Jahre 1968 bis 1972 konzipiert; diesmal sind es 6,1 Milliarden Mark."<ref name="Zeit 2010_10_01"/>
 
So marktwirtschaftlich Erhard sonst auch dachte: Das 1963, im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft aufgesetzte zweite Atomprogramm war ihm eine kräftige Finanzspritze wert. "3,8 Milliarden Mark steckt der Staat in Forschung, Entwicklung, Bau und Betrieb von Versuchsanlagen und Prototypen. 1967 ''[unter Nachfolger Kiesinger]'' wird das dritte Programm für die Jahre 1968 bis 1972 konzipiert; diesmal sind es 6,1 Milliarden Mark."<ref name="Zeit 2010_10_01"/>
   
Während der Zeit der großen Koalition unter '''Kurt Georg Kiesinger''' (1967 bis 1969) fand der eigentliche Einstieg in die kommerzielle Nutzung der Atomkraft statt. Während Atomkraft bislang eher eine Randerscheinung gewesen war, forderten 1967 der Bundestag, das Deutsche Atomforum und der Arbeitskreis Atomfragen des Bundes Deutscher Industrie (BDI) die Bundesregierung auf, sich für einen steigenden Anteil von Atomstrom einzusetzen. Das 1967 von der Bundesregierung initierte dritte Atomprogramm der Koalition hatte das Ziel, die Atomkraft in steigenden Maße anstelle der Kohle zur Deckung des Energiebedarfs einzusetzen. Die Forschungen am [[Kalkar (Nordrhein-Westfalen)|schnellen Brüter]] in Karlsruhe und am [[Hamm-Uentrop (Nordrhein-Westfalen)|THTR]] in Jülich wurden bestätigt. Im gleichen Jahr entschloss sich auch RWE, über die bisherigen 600-MW-Reaktoren hinauszugehen und Atomkraftwerke mit 99 bis 1.300 MW zu planen. 1969 stieg RWE dann mit dem 1.200-MW-Reaktor [[Biblis (Hessen)]] faktisch in die kommerzielle Atomenergie ein. 1969 wurde darüber hinaus von Siemens und AEG die [[Siemens und KWU|Kraftwerk Union (KWU)]] gegründet, die Auftragnehmer für fast alle deutschen Atomkraftwerke wurde. Die anderen Lieferanten Krupp, GHH und Demag schieden aus.<ref>Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 139ff., 177, 208.</ref>
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Während der Zeit der großen Koalition unter '''Kurt Georg Kiesinger''' (1967 bis 1969) fand der eigentliche Einstieg in die kommerzielle Nutzung der Atomkraft statt. Während Atomkraft bislang eher eine Randerscheinung gewesen war, forderten 1967 der Bundestag, das Deutsche Atomforum und der Arbeitskreis Atomfragen des Bundes Deutscher Industrie (BDI) die Bundesregierung auf, sich für einen steigenden Anteil von Atomstrom einzusetzen. Das 1967 von der Bundesregierung initiierte dritte Atomprogramm der Koalition hatte das Ziel, die Atomkraft in steigenden Maße anstelle der Kohle zur Deckung des Energiebedarfs einzusetzen. Die Forschungen am [[Kalkar (Nordrhein-Westfalen)|schnellen Brüter]] in Karlsruhe und am [[Hamm-Uentrop (Nordrhein-Westfalen)|THTR]] in Jülich wurden bestätigt. Im gleichen Jahr entschloss sich auch RWE, über die bisherigen 600-MW-Reaktoren hinauszugehen und Atomkraftwerke mit 99 bis 1.300 MW zu planen. 1969 stieg RWE dann mit dem 1.200-MW-Reaktor [[Biblis (Hessen)]] faktisch in die kommerzielle Atomenergie ein. 1969 wurde darüber hinaus von Siemens und AEG die [[Siemens und KWU|Kraftwerk Union (KWU)]] gegründet, die Auftragnehmer für fast alle deutschen Atomkraftwerke wurde. Die anderen Lieferanten Krupp, GHH und Demag schieden aus.<ref>Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 139ff., 177, 208.</ref>
   
 
Große Besorgnis in Deutschland löste zu jener Zeit der Atomwaffensperrvertrag aus, da man befürchtete, auch bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie diskriminiert zu werden. Strauß verstieg sich zur Bemerkung: "Das ist ein neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen." (...) Um das Vaterland gleichwohl gegen das neue Versailles zu schützen, eilte Verleger Axel Springer am Donnerstag vorletzter Woche an den Rhein und versprach dem Vertragsfeind Strauß den Beistand seiner Blätter, schlug der CDU-Außenpolitiker Majonica ein Generalsekretariat der atomaren Habenichtse vor."<ref>DER SPIEGEL 10/1967: [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46394430.html BONN / ATOM-SPERRVERTRAG - Schlag der Trommeln] vom 27. Februar 1967</ref>
 
Große Besorgnis in Deutschland löste zu jener Zeit der Atomwaffensperrvertrag aus, da man befürchtete, auch bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie diskriminiert zu werden. Strauß verstieg sich zur Bemerkung: "Das ist ein neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen." (...) Um das Vaterland gleichwohl gegen das neue Versailles zu schützen, eilte Verleger Axel Springer am Donnerstag vorletzter Woche an den Rhein und versprach dem Vertragsfeind Strauß den Beistand seiner Blätter, schlug der CDU-Außenpolitiker Majonica ein Generalsekretariat der atomaren Habenichtse vor."<ref>DER SPIEGEL 10/1967: [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46394430.html BONN / ATOM-SPERRVERTRAG - Schlag der Trommeln] vom 27. Februar 1967</ref>

Version vom 2. August 2014, 10:46 Uhr

Atompolitik > Die Atomeuphorie der 1950er und 1960er Jahre

"Atomzeitalter"

Die Nutzung der Atomkraft als Energiequelle begann am 20. Dezember 1951 in den USA und wurde als historischer Fortschritt gefeiert. An diesem Tag wurde im Experimental Breeder Reactor Number 1 bei Arco im US-Bundesstaat Idaho erstmalig Strom erzeugt. In den folgenden Jahren träumte man weltweit vom "Goldenen Atomzeitalter".[1]

Atomic_Alert_(1951)_Elementary_Version

Atomic Alert (1951) Elementary Version

Explains steps to take in case of an atomic bomb alert or a bombing without warning at school, in the open or at home. Gives simple explanation of nuclear fusion. (Quelle: YouTube)

Als Auftakt für die friedliche Nutzung der Atomenergie gilt die Genfer UNO-Konferenz vom August 1955. "Die Genfer Konferenz war Teil der Strategie von US-Präsident Dwight D. Eisenhower. Die Detonation der ersten russischen Atombombe im Jahre 1949 hatte die USA schwer schockiert. Sein Plan: Er wollte die Welt zum Verzicht auf die Atombombe bewegen und ihr als Gegenleistung ein großartiges Geschenk machen – Atoms for Peace, die "friedliche Nutzung der Kernenergie"."[2] Infolge der Atomkonferenz wurden 1957 EURATOM und die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) gegründet.

Mitte der 50er Jahre glaubte man, mit dem Anbruch des "Atomzeitalters" könnten alle Energieprobleme der Menschheit mit einem Schlag gelöst werden. Man träumte von nuklearen Flugzeug- und Lokomotivantrieben und "Baby-Reaktoren" als Heizungen für Häuser. Mit der Atomenergie sollte sogar die Entsalzung des Meerwassers, die Begrünung der Wüsten und die Erwärmung der Polargebiete gelingen.[3] Man wollte die Atomenergie wegen der entstehenden Prozesswärme auch als sogenannte "Strahlenchemie" nutzen ("Uranbrenner"). Visionen, die niemals Wirklichkeit wurden.[4]

→ Zeit Online: Das atomare Glück vom 14. September 2006

Adenauer und Strauß möchten den Rückstand aufholen

Datei:Konrad Adenauer.png

Konrad Adenauer

Die deutsche Politik und Wissenschaft konnte die allgemeine Atombegeisterung bis 1952 zunächst nur als Zuschauer teilen, da die Alliierten Deutschland über die Kontrollratsgesetze weitgehend von der Atomforschung ausgeschlossen hatten.

Erst mit der beginnenden Westintegration wurden die Beschränkungen allmählich aufgehoben, und Bundeskanzler Konrad Adenauer und Werner Heisenberg kündigten am 3. Oktober 1952, nur sieben Jahre nach den Forschungen in Haigerloch und dem Kriegsende, den Bau eines Atomreaktors an.[5]  1952 unterrichtete Adenauer die Besatzungsmächte in einem Brief über einen geplanten Gesetzesentwurf, der zwar die militärische Nutzung der Atomkraft und damit zusammenhängende Handlungen verbot bzw. kontrollierte, nicht aber deren friedliche Nutzung. →  Dokumente zur Atompolitik: 1952

Mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge 1955 und der Erlangung einer begrenzten Souveränität[6] wurde die Möglichkeit geschaffen, den wissenschaftlichen und technischen Rückstand, in dem sich die deutsche Politik wähnte, aufzuholen. Dokumente aus dem Bundestag belegen, dass Adenauer noch im selben Jahr umgehend die Einrichtung eines Atomministeriums, die Förderung der Atomforschung und die Planung eines Reaktors in Karlsruhe einleitete. →  Dokumente zur Atompolitik: 1955

Adenauer gründete am 5. Oktober 1955 das "Bundesministerium für Atomfragen", das nach mehreren Umbenennungen heute den Namen "Bundesministerium für Bildung und Forschung" trägt und die Entwicklung der Atomenergie in den 50er und 60er Jahren initiierte und forcierte.[1] Die Gründung des Atomministeriums stieß vielfach auf Unverständnis, da es dafür kein Vorbild im Ausland gab und in Deutschland noch keine atomaren Anlagen, die verwaltet werden konnten. Ludwig Erhard kritisierte dies mit den Worten, dass es ja auch kein "Dampfkesselministerium" gebe.[7] Als erster Atomminister wurde Franz Josef Strauß (CSU) berufen, der das Amt allerdings nur ein Jahr ausübte und 1956 von Siegfried Balke abgelöst wurde.[1]

Verteidigungsminister Franz Josef Strauß

Franz Josef Strauß

Texte von Franz Josef Strauß aus dieser Zeit atmen ganz den fortschrittsgläubigen Geist der 50er Jahre:

  • 21. Oktober 1955: "Es geht darum, dass der etwa 10-jährige Rückstand, den die Bundesrepublik Deutschland in der Ausnutzung der Atom-Energie für friedliche Zwecke hat, im möglichst geringer Zeit eingeholt wird. (...) Ich bin persönlich der Überzeugung (...), dass die Ausnutzung der Atomenergie für wirtschaftliche und kulturelle Zwecke, wissenschaftliche Zwecke, denselben Einschnitt in der Menschheitsgeschichte bedeutet wie die Erfindung des Feuers für die primitiven Menschen."[8]
  • 26. Januar 1956: "Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß wir einen 10 bis 15jährigen Rückstand gegenüber USA, Großbritannien, der Sowjetunion und anderen Ländern aufzuholen haben. (...) Es ist ohne Zweifel eine Tragik in der Geschichte der Menschheit, daß der Begriff Atom nicht als heilende und helfende Kraft, sondern zuerst als Faktor von unvorstellbarer Zerstörungswirkung zum Bewußtsein der Allgemeinheit gekommen ist."[9]

Prophetische Worte, wenn man an die Zerstörungskraft der Atomenergie bei den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima denkt.

Adenauer und Strauß zielten in den ersten Jahren allerdings weniger auf die friedliche Nutzung der Atomkraft für die Energieerzeugung, sondern auf die Produktion von Plutonium für militärische Zwecke ab, auch wenn dies nicht öffentlich zugegeben wurde. Ab Herbst 1956 sah Adenauer, der dem amerikanischen Schutzschirm nicht traute, in der Gründung der europäischen Gemeinschaft EURATOM die Gelegenheit für Deutschland, so schnell wie möglich eigene atomare Waffen herzustellen.[10] Eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr war ebenfalls vorgesehen. "Um die Bedeutung der Nuklearwaffen vor den ängstlichen Deutschen herunterzuspielen, nannte Adenauer in einer Pressekonferenz am 5. April 1957 die taktischen Atomwaffen "nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie"."[11] In den Unionsparteien stieß auch der Beitritt Deutschlands zum Atomwaffensperrvertrag auf Widerstand. "Konrad Adenauer, der Wiederbewaffner, grollte gegen einen Bonner Beitritt: "Ich hoffe, daß die Bundesrepublik nicht ihr Todesurteil unterschreibt." Und CSU-Chef Franz Josef Strauß, der damals eigene Atomwaffen für die Deutschen forderte, kommentierte: "Das ist ein neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen."" Deswegen wurde der Vertrag erst 1969 unter der sozialliberalen Koalition unterzeichnet.[12]

Strauß verfolgte in jener Zeit gegenüber der schnellen Nutzung der Atomkraft zur Energieentwicklung eine sehr zurückhaltende Strategie, da für diese im Ausland und in Deutschland noch die Voraussetzungen fehlten. Er lehnte den Bau von in Deutschland entwickelten Reaktoren aufgrund hoher Entwicklungskosten ab und bevorzugte eine Übernahme amerikanischer Entwicklungen. Sein Nachfolger Siegfried Balke indessen unterstützte eine zivile Nutzung und mehr technologische Eigenständigkeit der Bundesrepublik.[13]

ZDF.umwelt_vom_06.09.2009_-_Die_Skandale_der_Atomindustrie

ZDF.umwelt vom 06.09.2009 - Die Skandale der Atomindustrie

Franz Josef Strauß: "Die Atomkraft kann die Menschheit in ein neues, sicherlich kein goldenes, aber ein besseres Zeitalter führen, wenn sie des Dämons der Atomkraft Herr werden kann.", Min. 0:00 - 0:39

Die SPD war zu jener Zeit zutiefst von der Atomeuphorie ergriffen: Der Abgeordnete Ratzel warnte davor, "dass die Deutschen zu einem "atomar unterentwickelten Volk" würden". Leo Brandt schwärmte auf dem SPD-Parteitag 1956 vom "Urfeuer des Universums", und im SPD-Atomplan wurde die Atomenergie als "Segen" für die unterentwickelten Länder angesehen.[2] Im "Godesberger Programm", dem Grundsatzprogramm der SPD von 1959, heißt es in der Präambel: "Das ist der Widerspruch unserer Zeit, daß der Mensch die Urkraft des Atoms entfesselte und sich jetzt vor den Folgen fürchtet (...). Aber das ist auch die H o f f n u n g dieser Zeit, daß der Mensch im atomaren Zeitalter sein Leben erleichtern, von Sorgen befreien und Wohlstand für alle schaffen kann, wenn er seine täglich wachsende Macht über die Naturkräfte nur für friedliche Zwecke einsetzt".[14]

Franz Josef Strauß befürwortete auch später als Bayerischer Ministerpräsident die Atomenergie und setzte in den 1980er Jahren den Baubeginn der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (WAK) gegen Widerstände in der Bevölkerung durch. Wackersdorf wurde jedoch aus ökonomischen und politischen Gründen nie in Betrieb genommen. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Strauß 2008 zurückblickend als "Lobbyist im Staatsamt".[15]

Widerstand der Stromerzeuger

Die Initiative für den Einstieg in die Atomkraft ging anfangs von der deutschen Politik aus und stieß zunächst auf Widerstand bei den großen Stromversorgern.

Diese befürchteten unkalkulierbare Kosten und sahen aufgrund der Nutzung von Steinkohle und Erdöl keinen Bedarf für Atomkraftwerke. "Auch auf den Weltenergiekonferenzen hatten noch Anfang der 50er Jahre nicht das Atom, sondern Wasserkraft, Solar-, Wind- und Gezeitenenergie als unerschöpfliche Energiequellen die Experten fasziniert. Historisch betrachtet, war dies neben der massiven Sicherheitsproblematik das eigentliche Desaster: Die damals schon aktuelle Vision der unerschöpflichen Energie aus Wind und Sonne wurde von der Atomeuphorie für Jahrzehnte ins Abseits verdrängt. (...) Nicht die Industrie, sondern der Staat übernahm die Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Kerntechnik. Milliarden flossen in Forschungsprogramme und Risikobeteiligungen."[2]

Erst als sich die Bundesregierung zur Übernahme des Risikos und massiver staatlicher Förderung bereit erklärte, entschloss sich RWE zum Einstieg in die Atomkraft und zusammen mit dem Bayernwerk 1962 zum Bau eines ersten Reaktors, Gundremmingen A (Bayern). → RWE

Planung, Forschung und Subventionierung der Atomkraft

Nachdem mehrere Atomforscher um Werner Heisenberg bereits seit 1951 gefordert hatten, in die friedliche Nutzung der Atomkraft einzusteigen, einigte man sich zunächst darauf, an die im Deutschen Reich begonnene Linie der Schwerwasserreaktoren mit Natururan anzuknüpfen. Man hoffte, damit auf den Import von angereichertem Uran, das für die Leichtwasserreaktoren in den USA und Großbritannien als Brennstoff verwendet wurde, unabhängig bleiben zu können. Die Farbwerke Hoechst unter Karl Winnacker, die sich hohen Absatz erhofften, bauten daraufhin eine Versuchsanlage für Schwerwasserproduktion. Gegen den Protest von Heisenberg, der München präferierte, setzte Konrad Adenauer Karlsruhe als Standort für ein zentrales Reaktorzentrum durch, woraufhin sich Heisenberg aus der Reaktorforschung zurückzog.[16]

So sehr Adenauer und Strauß auch sonst die Marktwirtschaft in Deutschland präferierten: die Nutzung der Atomkraft wurde von Anfang an staatlich geplant und subventioniert.

1956 wurde nach dem Vorbild der US-amerikanischen "Atomic Energy Commission" die Deutsche Atomkommission (DAtK) gegründet, die das Atomministerium in allen Fragen der Atomkraft beriet. Die DAtK konzipierte 1957 das erste deutsche Atomprogramm, das auch "Eltviller Programm" oder "500-MW-Progamm genannt wurde, da der Bau von fünf Atomkraftwerken beschlossen wurde, von denen jedes eine Leistung von 100 MW haben sollte. Ein Kernziel des Programms war eine deutsche Brennstoff-Autarkie, weshalb man nicht den Import amerikanischer Leichtwasserreaktoren mit angereichertem Uran präferierte, sondern ein Schwerwasserreaktoren-Konzept mit Natururan und Plutoniumerzeugung, die Entwicklung von Schnellen Brütern und Hochtemperaturreaktoren verfolgte.[17] Bis 1960 sollten 80 % des deutschen Energiebedarfs durch Atomenergie gedeckt werden.[6]

Eine Folge des Atomprogramms war die Gründung zweier großer Atomforschungszentren, von denen sich das Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) auf die Entwicklung von Schwerwasserreaktoren und Schnellen Brütern mit den Prototypen MZFR und KNK konzentrierte, das Forschungszentrum Jülich (FZJ) auf die Entwicklung von Hochtemperaturreaktoren mit dem Prototyp AVR Jülich. Die Forschungszentren wurden durch staatliche Mittel finanziert.

Datei:The registration day.jpg

Forschungsgelände in Garching mit "Atomei"

Der erste bundesdeutsche Reaktor, ein Import aus den USA, wurde allerdings 1957 in München errichtet. → AtomkraftwerkePlag: "Garchinger Atom-Ei" und Heinz Maier-Leibnitz Zentrum

1957/58 wurde die Reaktorsicherheitskommission (RSK) als Beratungsgremium für den Bundesatomminister gegründet, die sich in der Folge bald als Erfüllungsgehilfe der Atomwirtschaft erwies. Der gesetzliche Rahmen für die Nutzung der Atomenergie wurde durch das 1959 ausgefertigte Atomgesetz geschaffen.[18]

Ende der 50er Jahre verflog die erste Euphorie, als sich herausstellte, dass die deutschen Energieerzeuger nicht in die Entwicklung von Atomkraftwerken investieren wollten, mit einer marktwirtschaftlichen Rentabilität von Atomkraftwerken nicht zu rechnen und eine Subventionierung durch den Bund unabdingbar war. Trotz "verdoppelter staatlicher Verlustbürgschaften und Investitionshilfen von zusammen 200 Millionen Mark" erwies sich das erste Atomprogramm als Flop. Von den geplanten fünf AKW blieben wurden nur die Kraftwerke Kahl und  Niederaichbach mit geringer Leistung umgesetzt. Für das Demonstrationskraftwerk Gundremmingen musste der Staat zwei Drittel der Kosten vorschießen.[6]

Spätere Atomkraftwerke wurden bis zu 90 % durch den Bund finanziert. Von 1950 bis 2010 flossen über 200 Mrd. Euro Subventionen in die Atomkraft, auch die Kosten für das Stromnetz wurde durch den Bund aufgebracht.

→ AtomkraftwerkePlag: Subventionierung von Atomkraft.

Die im Atomprogramm vorgesehenen Schwerwasser- und Thorium-Hochtemperaturreaktoren wie auch die Brütertechnologie erwiesen sich als technologische und wirtschaftliche Sackgassen, wie die AKW Niederaichbach, Hamm-Uentrop und der Schnelle Brüter von Kalkar später zeigten. Die Zukunft gehörte den nicht geplanten Leichtwasserreaktoren mit angereichertem Uran.

Nachdem bereits in den 1950er Jahren nach Uranlagerstätten gesucht worden war, wurde in geringem Umfang auch Uranabbau in Westdeutschland betrieben, der Ende der 1990er Jahre aufgrund der niedrigen Weltmarktpreise eingestellt wurde.

Skepsis in der Bevölkerung und Öffentlichkeitsarbeit

Repräsentative Umfragen aus dem Jahr 1958 zeigten, dass von Anfang an große Skepsis in der deutschen Bevölkerung herrschte. Laut einer Emnid-Umfrage wurde die Atomenergie von zwei Dritteln der Befragten mit der Atombombe assoziiert, und laut einer repräsentativen Allensbach-Umfrage wurde deren Nutzung nur von einer geringen Minderheit von 8 % vorbehaltslos befürwortet. In den folgenden Jahren schürten Meldungen über radioaktive Niederschläge aufgrund von Atombombentests immer wieder das Misstrauen der Bevölkerung.

Mit der Gründung der Atomlobbyorganisation Deutsches Atomforum (DAtF) im Jahre 1959 begann deshalb eine zentral gesteuerte und systematische Öffentlichkeitsarbeit zur Förderung der Atomenergie. Hierfür gab es auch deshalb Bedarf, da die in der ersten Atomeuphorie entstandenen Kostenkalkulationen nach oben und die industriellen Chancen für die Atomkraft nach unten korrigiert werden mussten.[19]

Friedrich Münzinger, ein Kraftwerksbauer, der bereits 1913 bei der AEG begonnen und das damalige Standardwerk "Atomkraft" verfasst hatte, beobachtete in den 1950er Jahren die Skepsis der deutschen Bevölkerung und lobte deren "Wirklichkeitssinn". Er kritisierte die Atomeuphorie, da er wusste, dass bei Großkraftwerken immer mit Explosionen gerechnet werden muss. "Mit Nachdruck wies er deshalb darauf hin, dass die Kerntechnik ganz neuartige Risikodimensionen mit sich bringe, und zog daraus die Quintessenz: "Das Publikum wehrt sich daher mit Recht gegen alles, was die Atmosphäre, die Erde oder die Wasserläufe radioaktiv verseuchen könnte.""[20]

Unter Adenauer/Strauß in Betrieb gegangene Reaktoren (Jahr der "ersten Kritikalität"):[21]

  • 1957 - Forschungsreaktor München
  • 1962 - Versuchsatomkraftwerk Kahl

Einstieg in die kommerzielle Nutzung unter Erhard und Kiesinger

Datei:Ludwig Erhard.png

Ludwig Erhard

Datei:Kurt Georg Kiesinger.png

Kurt Georg Kiesinger

Befürworter der Atomenergie war Ludwig Erhard schon als Wirtschaftsminister unter Adenauer und blieb es auch während seiner Kanzlerschaft von 1963 bis 1966. "Strom werde so billig werden, dass sich Stromzähler nicht mehr lohnten, sagte er voraus. Und rund um jedes AKW sah er eine blühende Industrielandschaft mit hunderttausenden Jobs entstehen."[22]

So marktwirtschaftlich Erhard sonst auch dachte: Das 1963, im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft aufgesetzte zweite Atomprogramm war ihm eine kräftige Finanzspritze wert. "3,8 Milliarden Mark steckt der Staat in Forschung, Entwicklung, Bau und Betrieb von Versuchsanlagen und Prototypen. 1967 [unter Nachfolger Kiesinger] wird das dritte Programm für die Jahre 1968 bis 1972 konzipiert; diesmal sind es 6,1 Milliarden Mark."[6]

Während der Zeit der großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (1967 bis 1969) fand der eigentliche Einstieg in die kommerzielle Nutzung der Atomkraft statt. Während Atomkraft bislang eher eine Randerscheinung gewesen war, forderten 1967 der Bundestag, das Deutsche Atomforum und der Arbeitskreis Atomfragen des Bundes Deutscher Industrie (BDI) die Bundesregierung auf, sich für einen steigenden Anteil von Atomstrom einzusetzen. Das 1967 von der Bundesregierung initiierte dritte Atomprogramm der Koalition hatte das Ziel, die Atomkraft in steigenden Maße anstelle der Kohle zur Deckung des Energiebedarfs einzusetzen. Die Forschungen am schnellen Brüter in Karlsruhe und am THTR in Jülich wurden bestätigt. Im gleichen Jahr entschloss sich auch RWE, über die bisherigen 600-MW-Reaktoren hinauszugehen und Atomkraftwerke mit 99 bis 1.300 MW zu planen. 1969 stieg RWE dann mit dem 1.200-MW-Reaktor Biblis (Hessen) faktisch in die kommerzielle Atomenergie ein. 1969 wurde darüber hinaus von Siemens und AEG die Kraftwerk Union (KWU) gegründet, die Auftragnehmer für fast alle deutschen Atomkraftwerke wurde. Die anderen Lieferanten Krupp, GHH und Demag schieden aus.[23]

Große Besorgnis in Deutschland löste zu jener Zeit der Atomwaffensperrvertrag aus, da man befürchtete, auch bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie diskriminiert zu werden. Strauß verstieg sich zur Bemerkung: "Das ist ein neues Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen." (...) Um das Vaterland gleichwohl gegen das neue Versailles zu schützen, eilte Verleger Axel Springer am Donnerstag vorletzter Woche an den Rhein und versprach dem Vertragsfeind Strauß den Beistand seiner Blätter, schlug der CDU-Außenpolitiker Majonica ein Generalsekretariat der atomaren Habenichtse vor."[24]

Adenauer vermutete, dass in zehn Jahren niemand mehr herkömmliche Kraftwerke bauen würde, und befürchtete, dass Deutschland als Industriestandort vom AKW-Bau ausgeschlossen würde und Schaden nehmen könnte.[25] Man unterschrieb aber dann schließlich doch.


Unter Erhard in Betrieb gegangene Reaktoren (Jahr der "ersten Kritikalität"):[21]

  • 1965 - MZFR Karlsruhe
  • 1966 - Jülich, Gundremmingen A

Unter Kiesinger in Betrieb gegangene Reaktoren (Jahr der "ersten Kritikalität"):[21]

  • 1968 - Lingen, Obrigheim
  • 1968 - Atomfrachter "Otto Hahn" → Geesthacht

AKW-Boom und Proteste in den 70er Jahren

(Letzte Änderung: 02.08.2014)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Zeit Online: Das atomare Glück vom 14. September 2006
  2. 2,0 2,1 2,2 greenpeace magazin: Im nuklearen Fieberwahn - greenpeace magazin 2.05 - Wie das Atom der Welt - und uns - den Kopf verdrehte
  3. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 56ff.
  4. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 58f.
  5. Olaf Strauß: Die Kernforschung und Kerntechnologieentwicklung in der DDR 1945–1965 (Diss.) vom Oktober 2011. S. 39.
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 Zeit Online: Atomenergie Aufbruch ins Wunderland vom 1. Oktober 2010
  7. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013, S. 92f.
  8. fjs.de: Manuskriptfassung eines Interviews des Nordwestdeutschen Rundfunks mit Franz Josef Strauß vom 21. Oktober 1955
  9. fjs.de: Rede anlässlich der Konstituierung der Deutschen Atomkommission vom 26. Januar 1956
  10. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 13, 120f.
  11. einestages.spiegel.de: Adenauers Atompolitik - Aufstand der Atomforscher vom 10. April 2007
  12. DER SPIEGEL 3/1988: Selbstmord des Atoms vom 18. Januar 1988
  13. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013, S. 100-102.
  14. spd.de: Godesberger Programm abgerufen am 3. Februar 2013
  15. Süddeutsche.de: Der Lobbyist im Staatsamt vom 6. August 2008 [Datum nachträglich durch Süddeutsche.de auf 17. Mai 2010 geändert]
  16. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 27, 29, 32f., 38.
  17. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 104f. und 108
  18. gesetze-im-internet.de: Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) abgerufen am 3. Februar 2013
  19. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 68, 70, 77, 288ff.
  20. geo.de: Das Gute an der "German Angst" vom 11. August 2011
  21. 21,0 21,1 21,2 IAEO: PRIS - Country Statistics - Germany
  22. FR Online: Die Kanzlerin muss Farbe bekennen vom 17. August 2010
  23. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 139ff., 177, 208.
  24. DER SPIEGEL 10/1967: BONN / ATOM-SPERRVERTRAG - Schlag der Trommeln vom 27. Februar 1967
  25. DER SPIEGEL 16/1967: HUMPHREY-BESUCH - Wie ernst vom 10. April 1967